CD-Review

PAIN OF SALVATION  "Be" (2004)

Prog-(Rest-)Metal


In meinem Review zu "Remedy Lane" (2002) hatte ich ja etwas daneben gehauen. 2004 verfasste ich deshalb eine längere Änderung bzw. eine Art Vorwort. Die alten Zeilen habe ich komplett stehen lassen, mich aber keineswegs gescheut, diesen Quark für überholt und ungültig zu erklären. Nicht zuletzt deswegen stellte ich die These auf, künftige Reviews grundsätzlich mit zweijähriger Verspätung herauszubringen. Generell natürlich ein Unsinn, aber im Falle von "Be" vielleicht durchaus angebracht. Denn wer will ernsthaft versuchen, ein derartiges Jahrhundertwerk so auf die Schnelle zu rezensieren?! DAS Ding braucht wirklich seine Zeit.
Platten aus dem progressiven Bereich haben meist eine außerordentlich lange "Inkubationszeit". Dies ist natürlich einer meiner ebenso berühmten, wie hinkenden Vergleiche, denn bei der Musik von "Be" handelt es sich zwar tatsächlich um eine Art "Infektion", aber diese führt keineswegs zum Ausbruch einer Krankheit, sondern eher zum Ausbruch einer ganzen Reihe von emotionalen Eruptionen...

Was ist eigentlich die Steigerung der einst von mir zitierten Bilderkanone? Bilderbombe? Wie dem auch sei, man braucht jedenfalls mehrere innere Leinwände gleichzeitig, um diese Bildersprache einigermaßen verarbeiten zu können. Wem diese nicht zur Verfügung stehen, wird in einer wahnwitzigen Interpretationsflut untergehen und somit das Album in der Luft zerreissen. Beispiele gibt es im Netz ja zu Genüge. Pech gehabt. Aber es geht nunmal nicht, zehn Tonnen Material in einen Kleinwagen zu packen...

Der gewaltige Konzeptbrocken beschäftigt sich mit der menschlichen Existenz als solche und überhaupt. Die Idee ist 1996 entstanden - das erste Album "Entropia" (1997) war noch gar nicht erschienen! Erst 2003 (und nach fünf Alben) begannen die Arbeiten für "Be".

Seid fruchtbar und mehret euch! Schöner Spruch, doch selbst Gott konnte nicht ahnen, dass der schöne blaue Planet so langsam aus allen Nähten platzt. Nur weiter so...! Die Idee, die evolutionäre Katastrophe in einem Song ("Deus Nova") als schlichte Aufzählung zu integrieren, dürfte neu sein. Leider kann man sich das Stück nur einmal anhören... was für den "Rest" der Platte keineswegs gilt!

Zwischen monströsen Prog-Einlagen und orchestralen Impressionen geistern immer wieder recht ungewöhnliche Songstrukturen herum, wie z.B. "Vocari Dei", die aus diversen Botschaften an Gott bestehen, welche Fans auf einen von der Band eingerichteten Anrufbeantworter sprechen konnten! Wieder eine ebenso originelle, wie bewegende Idee.
Musikalisch ist weder eine eindeutige Richtung auszumachen, noch sind irgendwelche Vorbilder auch nur in Spurenelementen nachzuweisen. Greifbare Parameter könnten grob mit Prog-Rock, -Metal, Folk, Gospel, Soul, Klassik umrissen werden, welche in der vorliegenden Komplexität dann aber doch mehr oder weniger so ziemlich alleine dastehen würden. Da PAIN OF SALVATION wohl die personifizierte Eigenständigkeit sind, sollte man die vorliegende Musikrichtung einfach nach dem Bandnamen benennen...!

Die Band erzählt uns gemeinsam mit dem "Orchestra Of Eternity" eine ganzheitliche Reise durch ein intellektuelles Gedankengebirge und durch die "fraktalen" Ansichten des Vor- und Oberdenkers Daniel Gildenlöw. Nicht ganz unineressant sind seine Ansichten in Richtung mathematischer Fraktale (komplexe geometrische Gebilde). Diese Muster überträgt er auf Mensch und Natur und sieht diese sowohl in sozialen Strukturen, als auch in unserer Existenz, ja sogar im gesamten Universum und über dessen Grenzen hinaus. In diesem Zusammenhang ist mehr als bemerkenswert, wie er technische Dinge regelrecht "vermenschlicht" indem er behauptet, dass alles, was erschaffen wird, nur deshalb getan wird, um unser Selbst zu verstehen! So ist dann beispielsweise ein Computer ein "Fraktal von uns selbst". Mit dieser Erfindung sind wir, was die Erkenntnisse über uns selbst betrifft, wieder ein Stück weiter gekommen...! (Zum weiteren Verständnis empfehle ich ausdrücklich das fulminante Interview von Kollege METFROG, Schreibfürst bei www.adl.at

Zur Wortgewalt der inhaltlichen Aussage kommt dann noch die Lust, mit Wörtern zu spielen. Das macht es dem gemeinen Hörer ohne Abitur und entsprechendem Studium nicht gerade einfacher. Na immerhin sind die jeweils drei Substantive, aus denen Wortkreationen wie Machinassiah, Machinageddon oder Machinauticus gestrickt sind, noch einigermaßen nachvollziehbar...

Also insgesamt gesehen ist das ganze ein monumentaler Film, der ohne Bilder auskommt. Die entstehen von selbst! Oder sind das alles "Fraktale", die wir womöglich längst kannten, aber noch keine Noten dafür hatten...
    
Fazit: Kopflastig, schwer verdaulich aber bahnbrechend!!!

 

Thomas Lawall - Februar 2006

 

 

Tracklist:

01. Animae Partus
02. Deus Nova 
03. Imago
04. Pluvius Aestivus
05. Lilium Cruentus
06. Nauticus
07. Dea Pecuniae
08. Vocari Dei
09. Diffidentia
10. Nihil Morari
11. Latericius Valete
12. Omni
13. Iter Impius
14. Martius/Nauticus II
15. Animae Partus II

Line-Up:

Fredrik Hermansson: Grand piano, harpsichord and keyboards, percussion on large toms, no vocals whatsoever
Johan Hallgren: Electric and acoustic guitars, harmony vocals, percussion on congas
Kristoffer Gildenlöw: Fretted and fretless basses, double bass, harmony vocals, percussion on steel barrels
Johan Langell: Drums, backing vocals, percussion on djembe and cow bell
Daniel Gildenlöw: Vocals, choirs, voices, harmony vocals, electric and acoustic guitars, mandola, Chinese archo, percussion on toms, roto-toms, mandola (body), eggs, floors, broken cymbals, and what-have-you, samplers and programming


Orchestra Of Eternity:

Mihai Cucu: 1st violin
Camilla Arvidsson: 2nd violin
Kristina Ekman: Viola
Magnus Lanning: Cello
Åsa Karlberg: Flute
Anette Kumlin: Oboe
Nils-Åke Pettersson: Clarinet
Dries van den Poel: Bass clarinet
Sven-Olof Juvas: Tuba


Guest Musicians:

Mats Stenlund: Church Organ
Cecilia Ringkvist as Dea Pecuniae

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