CD-Review

MINDFLOW "Mind Over Body" (2006)

Prog-Metal


Wenn einem so viel Gutes wird beschert, dann sind das schon einige Zeilchen mehr wert. Doch angesichts dieser fulminösen Kompositionen angemessene Worte zu finden, ist gar nicht mal so unschwer. MINDFLOW schmeißen in ihrem zweiten Longplayer gleichermaßen mit Ideen als auch stilübergreifenden Ansätzen nur so um sich. Dieses Album ist in einem einzigen Hördurchgang keinesfalls zu erfassen und zu begreifen! Auf den ersten "Blick" übrigens auch nicht, denn auch optisch wird einiges geboten ...

80 Minuten Vollbedienung in Sachen progressivem Stahl wollen erst einmal verkraftet werden, bevor auch nur ein einziges Wort geschrieben werden kann. Nach dem ersten Durchgang ist man allerdings mehr oder weniger sprachlos, denn nach dieser progressiven Massenkarambolage ist erst einmal ein wenig Erholung nötig.

Erhabene Melodien spielen Verstecken auf rockigen Wegen, erklimmen beinharte Gitarrenwände, während ein Sturm aus bombastischen Breaks für Unterhaltung sorgt. Die Winde wechseln ständig die Richtung, setzen unvermittelt ganz aus, um dann wieder ordentlich Druck zu machen. Was allein der erste Track schafft, schaffen andere Kapellen ihr ganzes Leben nicht. Mein Gott ... bereits nach guten zwölf Minuten "Crossing Enemy's Line" ist man fertig für die Nacht ...

... aber andererseits mehr als neugierig, wie es weiter geht. "Upload" kommt etwas aufgeräumter daher, weil übersichtlicher. Selbst der Durchschnittsproggie dürfte hier zunächst den Überblick behalten. Doch schon im Mittelteil werden einige "Extras" freigeschaltet, bevor es dann ein steiles Keyboardmassiv zu überwinden gilt, das sich als Piano verkleidet hat ...

Uff, "Thousand Miles from you" schmiert eine gepflegte Ballade auf's Pausen-Brötchen, welche zärtlich uns verwöhnt, ohne aber dabei den Horchtrichter mit Kitsch zuzukleistern. "Just Water, You Navigate" zieht das große Übergangs-Los, ändert aber die Marschrichtung und frönt zurückhaltend jazz-rockiger Tendenzen, steigert die Emotionen und endet mit dezenter "Effekt"-Hascherei.

Der "Chair Designer" geht dann wieder deftigere Wege, und aus ist es mit der Ruhe. Ohne über die Fallstricke des eigenen Ideenreichtums zu stolpern, steigert sich die Holterdiepolter-Combo so langsam wieder in die Dichte des Openers zurück und spielt dabei hin und wieder mit dem Hauptgedanken. Kleiner Tipp: Einfache Gemüter sollten die eine oder andere Rückfahrkarte bereithalten, um die einzelnen Stationen jederzeit noch einmal aufsuchen zu können. Hilfestellung dazu leistet der ganz und gar un"giftige" Song "A Gift to You", der noch einmal, und diesmal geigenverstärkt, auf Bremse und Tränensäcke drückt.
Das war auch bitter nötig, denn nun sollten die Lauschparameter endlich voll die Einstellung erreicht haben. Ab "Hellbitat" proggt der Bär und der pelzige Geselle hat ein ultrageiles pechschwarzes Lederhöschen an.

MINDFLOW bringen gleich mehrere Kunststücke fertig. Oft wirken die Tracks spontan improvisiert. Diese scheinbare Zufälligkeit der Interpretation ist natürlich ein Trugbild, denn hier ist alles minutiös ausbalanciert und fein abgewogen. Die Betonung liegt auf "fein", denn man verliert sich weder mit Tanten noch mit Nichten in endlosen Irrwegen und Selbstdarstellungen, sondern ordnet sich der jeweiligen Idee unter. Ausflüge in die Unendlichkeit sind also durchaus drin, aber MINDFLOW verzetteln sich nicht und kehren sowohl vor der eigenen Tür als auch immer wieder zurück. Ungezogenen Jungs ähnlich, die draußen den Punk abgehen lassen, dann aber zu Hause alsbaldigst wieder den Wohlerzogenen raushängen lassen.

Nach der Schrecksekunde am Ende des siebten Tracks (verdammte Lausbuben!), kommt die Oper in der Oper! "Follow your Instinct" dauert nicht nur fast 16 Minuten, sondern hätte im Prinzip für eine Platte gereicht. Das ist kein Longtrack, Leute, sondern das ist ein komprimiertes Prog-Eisen! Verdammt, die Nummer hätte man mühelos auf Albumlänge dehnen können! Davon können musikalische Sozialhilfeempfänger nur träumen, oder sich lebenslänglich davon ernähren. Aber auch jetzt bleiben die Herrschaften, neben allem Bombast, (relativ) bescheiden und meiden jeden überheblichen Übermut. Neben aller Komplexität der Arrangements meidet die Band entrückte Frickelgebirge, die niemand mehr nachvollziehen kann.
"Hide and Seek" beendet den Rausch der Bilder ... und entfacht ihn neu. "Hide and Seek" macht müde und weckt auf. "Hide and Seek" ist eine Sinfonie in Prog. Der letzte Track ist keine Summe oder sowas ähnliches. Auch das letzte Stück steht nur für sich und ist "lediglich" eine (gleichberechtigte) Teilmenge eines großartigen Albums, das in Bescheidenheit endet ... !

Egal wie oft man das Album hören möge - keine Sekunde der dafür verbrauchten Lebenszeit ist umsonst!!!

Ok, was den ganz oben zitierten "ersten Blick" betrifft, wäre noch das zu sagen, was jeder Feinschmecker weiß. Das Auge isst mit! Was ich damit sagen will: Auch für das optische Wohl ist bei diesen Album gesorgt. "Mind Over Body" kommt in einer Verpackung der Extraklasse. Dickes Booklet, randvoll mit Texten und Fotos, feudales Digi-Pack im Slipcase und ein zweites Booklet, was sich als Comic-Heftchen entpuppt. Mein lieber Mann. Da werden ja (fast) alle Sinne bedient. Fehlt eigentlich nur eine flotte Melodie, die erklingt, sobald man das Digi-Pack öffnet ... !

Na gut, und was nun? "The mind over the body." Schon klar. Weiß ja jeder. Und was jetzt? Na was wohl ...

... bring a starfish!

Fazit: Progheimer Edelmetal an Luxuspappe im Prägedruckmäntelchen.

 

Bewertung 12/12

Thomas Lawall - Februar 2007

 

 

Tracklist:  

1. Crossing Enemy's Line
2. Upload - Spirit
3. Thousand Miles from you
4. Just Water, You Navigate 
5. Chair Designer 
6. A Gift to you
7. Hellbitat
8. Follow your Instinct 
9. Hide and Seek

Line-Up:

Rodrigo Hidalgo: Guitars, Backing Vocals
Danilo Herbert: Lead Vocals
Rafael Pensado: Drums, Backing Vocals
Ricardo Winandy: Bass
Miguel Spada: Keyboards, Backing Vocals

 

 

 

 

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