CD-Review

STEVE HACKETT & THE UNDERWORLD ORCHESTRA
"Metamorpheus" (2005)

Neo-Klassik



Es ist ganz entscheidend, von welchem Standpunkt aus man (diese) Musik betrachtet. Ich habe es da recht einfach, weil ich meine Füße so fast in jeder Tür stehen habe und mein Arsch eh zwischen allen Stühlen hockt...

Wann habe ich Steve Hackett zum letzten Mal auf der Bühne gesehen? Schätze, das war bei den ersten GENESIS-Konzerten nach der Ära Gabriel, anno 1976 oder 1977 im Frankfurter Waldstadion und auf der Loreley. Was haben wir geflennt... (nicht nur, weil es so etwas NIE mehr geben wird...)! Bis zu Zeiten von "Wind and Wuthering" (1976) war ja noch einigermaßen alles in Ordnung... bis auch er das sinkende Schiff verließ. Die gesegneten Zeiten der alten Genesis waren endgültig und für immer vorbei, obwohl der langhaarige Zottelbart Collins seine Sache ja anfangs noch recht gut gemacht hat, aber... - äh... och nee... denn dies gehört ja gar nicht hierher!

Aus besagter Zeit ist nichts, aber auch gar nichts übrig geblieben. Steve Hackett hat (nicht nur) mit "Metamorpheus" längst andere musikalische Wege eingeschlagen. Den Rahmen des Albums bildet die Liebe von Orpheus und Eurydike (was mir nicht unbedingt sooo viel sagt). Jedenfalls strickt er aus der tragischen Story des thrak. Sängers und Leierspielers ein (filmreifes) Haupthema, deutet es verhalten im ersten und zweiten Track an, um es dann im dritten zu konkretisieren und im weiteren Verlauf auf immer abenteuerlicheren Reisen immer wieder (schüchtern) zu streifen, mal ganz konkret wieder zu finden und mal lachend oder weinend (mehr oder weniger) weiter zu erkunden...

So ganz nebenbei definiert Hackett auf diesen aufregenden Pfaden die totgesagte klassische (Kammer-)Musik neu bzw. führt sie fort! Dabei erinnert er an eine seltsame "Band", die von Jean Sibelius, Felix Mendelssohn-Bartholdy, Maurice Ravel, Joaquín Rodrigo und Ennio Morricone gleichermaßen beeinflusst und inspiriert wurde und daraus einen "fabel"haft merkwürdigen "Konsens" entwickelt hat! (hüstel) Natürlich ist das eine schwärmerische Phantasterei, die ihre Daseinsberechtigung einzig daraus begründet, sich auf einer verzweifelten Suche nach einer katalogisierten Eingliederung - im Sinne einer Schieblade - zu befinden. Diese Merkwürdigkeiten gibt es natürlich gar nicht - das "Underworld Orchestra" aber sehr wohl, und es scheint, als ob es zwischen allen Dimensionen "agieren" kann. Es musiziert und zelebriert eine unaufdringliche Kunstfertigkeit, die sich einer ausgesprochen eindringlichen Bildersprache bedient. Ich würde das mal als "visuelle Virtuosität" bezeichnen, und ganz zweiffellos hat Steve Hackett damit ein neues Kapitel in der Kammermusik geöffnet bzw. den herkömmlichen Rahmen nicht unwesentlich erweitert...!
"Metamorpheus" paart reife Spiritualität mit einer wahrhaft beglückenden Musikalität und wirkt dabei doch so bescheiden. Ergreifend und einfach wunderbar! Ich applaudiere ganz leise und mit feuchten Händchen...

Dem unaufmerksamen Zuhörer, der ein derartiges Weltwunder nicht hören kann, entgehen überdimensionale Wände aus Gemälden - Bilder einer Ausstellung - gigantisch wie höchste Gebirge und doch so zerbrechlich wie Schmetterlingsflügel.
Der eine oder sogar andere Progressiv-Heimer reagiert mit Entsetzen, denn von Herrn Hackett wird gefälligst "Prog-Rock vom Feinsten" erwartet! Ganz richtig, dass Kollege Dumpfbacke die eigene Aussage als eine Frechheit titulierte...
Ich denke, es ist aber noch ein wenig mehr... grübel, grübel... denn sooo "fortschrittlich" denken diverse Frickel-Freaks dann leider doch nicht. Sie glauben lediglich daran, aber letztlich haben auch sie sich Scheuklappen vor die Mütze geschnallt! Denn wie sonst könnte man Kammermusik generell mit Adjektiven wie "banal" oder gar "seicht" auch nur annähernd in Verbindung bringen!!?? Da passt rein gar nichts, und wenn gewisse Zines Probleme mit ihrer Ausrichtung haben, sollten sich die Verantwortlichen überlegen, wie weit es denn her ist mit dem sog. "Anspruch", den sie sich auf ihre Fahnen geschrieben haben!!!??? Wenn solchen schrägen Vögeln mal versehentlich eine Bach-Kantate in die Griffel flattern sollte, dann "muß" das gute Teil verrissen werden, nur weil es eben nicht in das Konzept des Zines passt...! Also das ist doch Idiotie pur, oder was!!!???

Ach, was soll der Blödsinn! Mir bleibt nur noch das (bescheidene) Fazit und der damit verbundene Aufruf an alle Menschen, die das Staunen noch nicht verlernt haben, verdammt nochmal:

Vertonte Melancholie des Glücks. Eine der besten Platten dieser Welt!


Thomas Lawall - April 2005
 

 

Tracklist:

01. The Pool of Memory and
     the Pool of Forgetfulness
02. To Earth Like Rain
03. Song To Nature
04. One Real Flower
05. The Dancing Ground
06. That Vast Life
07. Eurydice Taken
08. Charon's Call
09. Cerberus At Peace
10. Under The World / Orpheus Looks Back
11. The Broken Lyre
12. Severance
13. Elegy
14. Return To The Realm Of Eternal Renewal
15. Lyra

Line-up:

Steve Hackett: Guitar
Christine Townsend: Principle Violin, Viola
Lucy Wilkins: Violin
Richard Stewart: Cello
Sarah Wilson: Cello
Dick Driver: Double Bass
John Hackett: Flute, Piccolo
Colin Clague: Trumpet
Richard Kennedy: French Horn

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