Blind Review Nr. 9

Interpret, Albumtitel und Erscheinungsjahr sind nicht bekannt


Soft-Prog


Die mir völlig unbekannte Scheibe erinnert zu Beginn an ANATHEMA's "The silent enigma" (1995) und im weiteren Verlauf an PINK FLOYD's "Wish you were here" (1975). Der instrumentale Einstieg scheint eine Art Overtüre zu sein, die bezüglich nachfolgenden Großtaten zu berechtigten Hoffnungen Anlass gibt. Das bedeutet aber keineswegs, dass ich mich in diesem Fall nicht EINMAL täuschen sollte ...

Recht locker begibt man sich sinngemäß in den zweiten Track, wo uns zunächst ein zartes Frauenstimmchen verzaubern möchte. Das gelingt insoweit ziemlich gut, als das versprochene Niveau durchaus gehalten wird. Die Rezeptur ist allerdings recht einfach, denn unkomplizierter kann Prog-Rock nicht sein.

Wieder recht nahtlos musiziert man sich auf gehobenem Niveau in den dritten Track. Schöner konnten selbst YES mehrstimmigen Gesang nicht in Art-Rock-Gewänder stricken. Das geht ins Ohr, und großartige Melodien kündigen sogar hin und wieder steigenden Nachdruck an.

Leider geht man zu keiner Zeit irgendwelche Risiken ein. Die Kapelle hat zwar ebenso begnadete wie effektbeladene Ideen und nicht das geringste Interesse, sich radiotauglich zu defragmentieren - was spätestens im vierten Track deutlich wird. Mit Überlänge schleichen sich die Musikanten aber durch ein Gelände, welches PINK FLOYD und GENTLE GIANT längst verlassen haben. Hier gibt es nichts mehr zu entdecken ... und so langsam beginnen die guten Ideen an sich selbst zu ersticken. Allzu gefällig und unverbindlich kommt mir das vor. Da wird womöglich ausgelotet, was (noch) gehen könnte und was nicht. Vorteil: Da kann kaum etwas schiefgehen. Nachteil: Selten ist mir von einem Longtrack dieser Größenordnung weniger im Gedächtnis hängen geblieben. Da helfen auch die angedeuten Dinosaurier-Breaks sowie das wiederkehrende Hauptthema im letzen Viertel des 11-Minuten-Tracks wenig bzw. gar nichts. Schade.

Im fünften Stück bewegt sich das Niveau leider bergab. Die Melodien werden banal und schielen nun doch in Richtung Mainstream. Der Spannungsbogen des Albums begibt sich auf Talfahrt, und spätestens jetzt wird klar, dass hier kein Risiko gefahren wird. Insgesamt geht natürlich auch dieser Song, sowie der nachfolgende, in Ordnung. Doch das wird nun immer seichter. Allgemeinverständlich eben. Na ja gut ...

Nachdenklich geht es dem Ende zu. Track sieben täuscht kurz gewaltigen Tiefgang an, verliert sich aber wiederum in musikalischen Allgemeinplätzen. Lustig mutet der Versuch an, das Flachtheater mit angetäuschtem Prog-Bombast aufzuwerten. Das ist gut gemeint, aber beim nächsten Mal sollte man es mit dem Gaspedal versuchen, statt mit Seifenblasen.

Ständige Wiederholungen erzielen auch im vorletzten Track (bei mir) nicht die gewünschte Wirkung. Solche Ideen haben uns bei ANATHEMA schon weitaus mehr beeindrucken können! Leute, ihr seid zu nett! Schwimmt doch mal raus ins tiefe Wasser. Ich will in Musik ertrinken und nicht mit dem Schnorchel im Flachwasser dümpeln!

Das große Finale kommt dann mit satten (reichlich unterbrochenen) 13 Minuten ins Ohr. Keine Frage, denn auch da gibt es keinerlei Hindernisse zu überwinden. Das geht mit Anspruch ins Ohr, aber wieder wurden von einem grandiosen Thema sämtliche Ecken und Kanten weggefeilt. Das Hauptthema begegnet uns wieder ... und nochmal ... und dann schon wieder ...
Kann es vielleicht sein, dass man Angst hat, sich wirklich selbst zu verwirklichen? Mal voll aus sich herauszugehen? Die ganzen Bremsklötze einfach mal abzulegen? Ja gibt es denn das?

Immerhin tolle und durchaus anspruchsvolle Musik, die man gerne, oft und immer wieder hören kann.

Nebenbei.

Und genau DAS ist schade! Selten habe ich eine Platte gehört, bei der so viel Potential verschenkt worden ist ...

Fazit: Prog-Rock ohne Risiken und Nebenwirkungen.

 

Bewertung: 7/12

Thomas Lawall - Januar 2009

 

 


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