Blind Review Nr. 1

Interpret, Albumtitel und Erscheinungsjahr sind nicht bekannt

Prog-Rock



Ein Keyboardgebirge, groß wie Igors Nordwand und ein orientalisch-orchestraler Donnerschlag eröffnen dieses Machwerk. Startet hier ein gigantischer Raumfrachter? Eine Karawane aus Stahl? Recht voluminös geht es also unmittelbar in die Vollen ...

... was im zweiten Track gar nicht mal bestätigt wird. Leider, denn der bombastische Einstieg verspricht einfach zu viel! In progressiven Gefilden der unkomplizierteren Marke dümpelt der Song zunächst verhalten vor sich hin. Im Zwielicht einer nicht erkennbaren Stilausrichtung werden zahllose Elemente gestreift ... als Beispiel will ich hier nur einige leicht staubige Spuren von Southern-Rock-Anleihen in den Hauch einer Erwägung ziehen. "Where will I go ... " und ewig lockt der Highway.

Track drei beginnt akustisch simpel und in bester Singer-Songwriter-Manier, ("Yesterday's gone ... ") getragen von einem dominanten Bass,  bevor sich nahtlos der vierte Track als eine zauberhafte Querflötenphantasie vorstellt und seinerseits nach einer knappen Minute eine gekonnte Überleitung zum fünften Stück bastelt. Gar nicht mal uninteressanter Brückenbau! Deutlich grooviger agierend, zünden hier Verweise auf proggige Schachtelsätze vorerst nicht mehr, denn man gibt sich deutlich bodenständiger. Im weiteren Verlauf straft die Band aber alle Vermutungen Lügen, indem die Musikanten erste intellektuelle Ausschweifungen anklingen lassen. "The world keep on turning ... it is not to late" ... woher kenn ich den Stampf nur?

Irgendwie ne interessante Truppe. Man schwankt zwischen indirektueller Kopflastigkeit und leicht verständlichem Hartrock, gibt sich hier und da fast hallenkompatibel ... aber nur, um sich an anderer Stelle wieder in psychedelischen Kaleidoskopen zu verlaufen. Dies ist (vorsätzlich) verwirrend, aber auf eine ganz und gar nicht unangenehme Art.

Ich habe keinen Blassen, wer die Truppe ist. Eins weiß ich aber genau. Das ist nämlich eine von den Scheiben, die so eine Art Hörkraftzersetzung betreiben. Alte Gewohnheiten werden von innen angegriffen und allmählich untergraben und manipuliert. Die erste Bewertung war eine schlappe 9/12. Nach weiteren Durchläufen habe ich auf die Wertung noch zwei Pünktchen draufpacken müssen. Wegen der eingangs falsch gelegten Fährte und einigen Untiefen gibts aber keinesfalls voll was auf die Zwölf. Eher beim nächsten oder übernächsten Album, denn neu (im Sinne von aktuell) ist die Scheibe garantiert nicht ...

Track sechs interpretiere ich als eine Art psychotischen Walzer, den LED ZEPPELIN und DEAD SOUL TRIBE gemeinsam aufs Parkett legen. Tanzpartner im nächsten Track sind PINK FLOYD und SADE. Aufregende Mischungen, die die Kapelle mit ihrer ganz speziellen Marke kombiniert und bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Durchaus anregend, aber nur für verwöhnte Öhrchen zu empfehlen. Nicht, dass ich noch mehr Verwirrung stiften möchte, aber Fans von THOUGHT CHAMBER, CARPTREE oder JADIS dürften ebenfalls ein bis zwei Muscheln riskieren.

Alles in allem ein recht anspruchsvolles Orchester, dem wahrlich kein Zacken aus der Krone fällt, wenn es stellenweise Allgemeinplätze schultert. Dies dient eh nur dem Zweck, diese ins Nirgendwo zu transportieren! Ich nenne das raffinierte Ambivalenz. Diese wird im zehnten Track auf die Spitze getrieben, in dem Art-Progger CHRIS SQUIRE und WAKEMANS RICK einige Fundamente beizusteuern scheinen ... die im elften Stück gleich komplett von "YES" bestätigt werden. Doch sowas gibts ja gar nicht ... denn derart rockig kamen die Prog-Weltmeister nur in "Owner of a lonely heart" (würg). Diese Kapelle hier bringt ihre beiden schweinegeilen Art-Rock-Nummern aber so groovig aufs Parkett, als hätte sich ein Steve Howie ne Flasche Jacky unter die Mütze geschraubt.

Stück 12 gibt sich wieder orchestral vielsagend, ohne jedoch allzuviel Tiefgang vorzugaukeln. Der finale 13-Minuten-Brocken macht es ebenso. Das mit dem Tiefgang mein ich. Seltsam eigentlich, denn selten habe ich einen derart leichtfüßigen Bombast vernommen. Als würde ne Kiste mit Schmetterlingen explodieren. Mal hör ich die verdammten BEATLES raus, mal einen beliebig unverbindlichen Hardrocker, mal ein Rock-Musical ... oder ein Chaos, denn am Ende eskaliert der Song und erinnert in seiner immer heftiger drehenden Bilderflut an die Schlusssequenz von Kubricks endgültiger SF-Oper "2001 - Odyssee im Weltraum". Schließlich verschwindet die Kapelle in einem schwarzen Loch, und nach einer Weile im Nichts, dürfen wir einen kleinen Blick in die Welt dahinter riskieren. Ziemlich aufregend, wie wieder alles beginnt ...

Fazit: Verträumt verspielte Prog-Kiste. Prädikat: Besonders wertvoll.

 

Bewertung: 11/12

Thomas Lawall - Januar 2008

 

 


Ok, das war also mein erstes "Blind-Review". Die Auflösung findet ihr HIER. Weitere Informationen und/oder Diskussionen im Forum.
 

 

 

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