spätnachrichten Gedichte
von Theodor Payk
108 Seiten © Edition Thaleia, St. Ingbert 2010 www.edition-thaleia.de ISBN 978-3-924944-93-3
Ich beginne ausnahmsweise einmal mit dem, was mir nicht gefällt. Mit dieser unsäglichen Kleinschreiberei konnte ich noch nie etwas anfangen - was damit zusammenhängen mag, dass ich als gelernter Schriftsetzer ein derartiges Schriftbild wohl nie in den Kopf kriegen werde. Schrift besteht nicht nur aus einzelnen Buchstaben sondern erzeugt auch ein Gesamtbild, und genau dieses sehe ich erheblich gestört.
Insbesondere Gedichte leben von der Melodie der Worte, die man nicht insofern durcheinander bringen sollte, indem man Adjektiven und Substantiven die gleiche Rangfolge beimisst. Die deutsche Sprache bietet hier durch die Unterscheidung in der Schreibweise ein herrliches Instrument der Intonation. Gleichklang ist nicht gefragt, sondern Akzente und Pointierungen. Dem Argument der gewollten Vereinfachung möchte ich eine hier unangebracht erscheinende Vereinfachung, ja fast eine Abstraktion - bei allem Respekt - vorwerfen.
Eine kleingeschriebene "stille" ist einfach eine andere Stille, eine "bescheidenheit" wirkt übertrieben bescheiden, "hiebe" harmlos, "melodien" seltsam leise, "herren" lächerlich, "hungerzonen" verniedlicht, "hügel" wie Flachland, eine "segeljacht" wie ein Papierschiffchen und ein "langstreckenjogger" - ich bitte um Vergebung - wirkt gar absurd! In diesem Zusammenhang erscheint rätselhaft, weshalb YIN und YANG komplett mit Versalien ausgestattet, eine nicht unbedingt verdiente Aufwertung erfahren dürfen ...
Genug damit, denn inhaltlich erscheinen mir die "spätnachrichten" auf einer völlig anderen Wirkungsebene. Es kommt nicht oft vor, dass man an Gedichten hängenbleibt, sich festliest, innehält und einfach für den Moment nicht mehr weiter will! Ich begegne in diesem Buch einer extrem verdichteten Ausdrucksform, die ich bislang in dieser Form noch nicht zu lesen das große Vergnügen hatte.
Weshalb die überaus disziplinierte Form der Verse in einer Sortierung der Gedichte nach dem Alphabet gipfelt, mag ich nicht ermessen. Über pure Ordnungsliebe geht es in jedem Fall weit hinaus. Was im Inhaltsverzeichnis wie erzwungen aussehen mag, zeigt sich im genauen Studium der Gedichte keineswegs, denn hier regiert kein Zwang, sondern die ungeheure Vielfalt des Lebens, des Liebens, der Menschen, ihrem Glück, ihrem Leid und ihrem Lebensraum.
Wir begegnen lieblos geschminkten Puppengesichtern in "drogen strich", einem sehr kurzen Glücksmoment in "glück", dem ergreifend Unvermeidlichen in "abschied", fernen und unbelasteten Kindertagen in "kindheit", begegnen der trägen Masse in "stadt bummel", glücklicher Zeit in "weiter südlich", lachen über beißende Ironie in "life style", erkunden geheimisvolle Weiten in "horizont" und erleben und erkennen den Augenblick in "jetzt" ... und zwar auf eine Weise, wie wir ihn vielleicht noch nie wahrgenommen haben. Gedichte wie diese sind ein Geschenk!
Mit einer bestechenden Beobachtungsgabe und einer hinreißenden Fähigkeit, die Dinge zu präzisieren und auf den Punkt zu bringen, nimmt uns Theodor Payk, der in Gelsenkirchen geborene Psychiater und Autor, auf eine abenteuerliche Reise mit. In insgesamt 100 Gedichten erlaubt er uns, die Welt mit und durch seine Augen zu sehen und zu interpretieren. Ich habe versucht, in meinen Notizen bestimmte Gedichte herauszustellen, ja sogar mit dem Gedanken gespielt, die einen oder anderen Zeilen als Lieblingsgedichte zu deklarieren. Nach Ende der Lektüre kann ich dieses Vorhaben nur als lächerlich bezeichnen. Es geht einfach nicht.
Die Fülle und der ganze Reichtum dieser sehr persönlichen Weltanschauungen kennt keine isolierten Höhepunkte. Das ganze Buch ist ein solcher!
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