Literatur

liquid

von Herbert Genzmer


430 Seiten
© SOLIBRO Verlag, Münster 2022
www.solibro.de
ISBN 978-3-96079-092-1



Die filmreife Action geht praktisch sofort los. Eine Frau ist auf der Flucht. Offenbar in einem wüstenähnlichen Gebiet. Ein Fahrzeug verfolgt sie, dessen Besatzung das Gelände systematisch durchsucht. "La Migra" wird es wohl sein, die "Immigration Police", vermutet sie. Auch Leserinnen und Leser vermuten ein typisches Szenario. Gesucht werden wohl illegale Mexikaner. Ist die Frau ebenfalls auf der Flucht in die USA? Falsch gedacht, denn die Biochemikerin Madeleine Alberti will in die andere Richtung. Sie flüchtet aus den USA nach Mexiko...!

Derweil spielen sich in Chihuahua, dem größten Bundesstaat Mexikos, dramatische Szenen ab. Nachdem die Landesregierung eine Strafaktion gegen die Drogenkartelle in der Hauptstadt Ciudad Juárez durchführte, konterten die Kartelle mit unvorstellbarer Härte. Die drastischen Racheakte erinnern umgehend an ebensolche Kapitel, die Don Winslow in den drei Bänden seiner Kartell-Saga nicht weniger schonungslos geschildert hatte.

Das fängt ja gut an, stellt man nach dem Lesen von nur zwei kurzen Kapiteln fest, und alle Zweifel, die sich im Vorfeld aufstauten, sind vergessen. Die Frage, ob das im Klappentext beschriebene, auf den ersten Blick etwas spröde wirkende Thema "neuartiger bargeldloser Zahlungsmethoden" etwas hergeben würde, löst sich in Luft auf.

Statt dessen entwickelt sich so nach und nach ein dystopisches Schreckensszenario, das einem den Atem raubt ... und so nebenbei Öl ins Feuer der Impfgegnerfraktionen gießt. Man sollte also zwischen Realität und Fiktion gut unterscheiden können. Deshalb wohl auch die inzwischen offenbar unvermeidliche "Triggerwarnung" auf der Rückseite des Umschlags. Allerhand "Fürchterliches" wird hier aufgeführt, erstaunlicherweise fehlt die Warnung vor expliziter Gewalt, welche inzwischen wohl als selbstverständlich akzeptiert wird.

Herbert Genzmer wagt einen mitunter sehr originellen Blick in die nahe Zukunft. Hierzu gehören u. a. der Konkurs eines sehr bekannten sozialen Netzwerkes oder die Wiederwahl eines ebenso bekannten wie unbeliebten Präsidenten. Letztgenannte Schreckensvorstellung relativiert sich im weiteren Verlauf allerdings drastisch ...

Ebenso drastisch schildert der Autor eine Umweltkatastrophe, welche bereits das Titelbild erahnen lässt. Was das alles mit "liquiden Chips" zu tun hat, erfahren Leserinnen und Leser sehr bald in dieser immer weiter eskalierenden Geschichte, die gegen Ende, dank Füllmaterial wie Wiederholungen, aufgeblasener Dialoge und einer seichten Lovestory, leider etwas abflacht. Zudem ahnt man mit abnehmender Seitenzahl, dass die komplexe Entwicklung der Geschichte im verbleibenden Rest wohl kaum (vollständig) gelöst werden kann. Was die einen enttäuschen mag, werden andere in einem ganz anderen Licht sehen ...

Fazit: Für Verschwörungstheoretiker ein Fest. Für alle anderen ein Hochspannungsthriller, der in seiner Nachhaltigkeit ein leichtes Unbehagen hinterlässt.

 

Thomas Lawall - Oktober 2022

 

 

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