Literatur

Wie man ein Schmetterling wird
Das kurze, mutige Leben meiner Tochter Reyhaneh Jabbari


von Shole Pakravan mit Steffi Niederzoll


268 Seiten
© Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, Berlin/München 2023
www.berlinverlag.de
ISBN 978-3-8270-1370-5



Nach der Lektüre dieses Buches befindet man sich zunächst in einem Zustand der Ratlosigkeit. Tiefe Trauer und maßlose Wut wechseln sich ab. Dieses Empfinden muss sich zunächst etwas abkühlen, bevor man einen halbwegs klaren Gedanken fassen kann.

Das bedeutet jedoch nicht, dass man wüsste, wie eine vernünftige Rezension zu verfassen wäre. Es ist doch sowieso schon alles gesagt, gelesen und in den Medien exzessiv bekannt gemacht worden. Oder etwa nicht? Nein, denn dieses Buch, geschrieben von Reyhanehs Mutter Shole Pakravan und Steffi Niederzoll, hat eine ebenso wichtige, wie klare Botschaft.

Wer die Geschichte der 19jährigen Reyhaneh Jabbari nicht kennt, sei hier kurz informiert: Die junge Iranerin entging einer drohenden Vergewaltigung nur durch verzweifelte Notwehr. Sie stach den Mann nieder, der die Folgen jener Verletzung nicht überlebte. Im Juli 2007 wurde sie verhaftet und zwei Jahre später zum Tode durch Erhängen verurteilt. Das Urteil wurde, auch nach internationalen Protesten, 2014 vollstreckt.

Sehr beeindruckend sind die verzweifelten Bemühungen der Verurteilten und ihrer Familie, das Urteil zu verhindern oder wenigstens aufzuschieben. Beispielsweise ist die Rede von Bestechungsgeldern, "damit ihre Akte im Stapel der Fälle zur Vollstreckung nach unten rutschte". Überhaupt einen fairen Prozess zu bekommen, war nach einem Wechsel des Richters nicht möglich. Wichtige Entlastungsindizien wurden ignoriert.

Am bewegendsten aber sind Reyhaneh Jabbaris persönliche Zeilen, die teilweise aus dem Gefängnis herausgeschmuggelt wurden und die zahlreichen, von ihrer Mutter angefertigten, Telefonnotizen:

"Nach einer langen Zeit im Gefängnis weiß ich, wer ich bin und wer ich sein möchte."

Ihre Zuversicht und Lebensbejahung erscheinen angesichts der unsäglichen Haftbedingungen fast befremdlich. Aber keine Aussichtslosigkeit, selbst körperliche und seelische Folter, können sie brechen, auch wenn sie im siebten Jahr ihrer Inhaftierung kurz davor zu stehen scheint, aufzugeben:

"Es fühlt sich an, als bestünde der Sinn des Lebens nur darin, zu atmen und die Säume des Tages an die Säume der Nacht zu nähen."

Die letzte Chance, nach iranischem Recht das Urteil abzuwenden, wäre die Begnadigung durch die Familie des Getöteten bei einem sog. "Vergebungstreffen" gewesen, welches kurz vor der Vollstreckung des Urteils einberufen werden kann. Bedingung wäre aber gewesen, dass die Angeklagte den Vergewaltigungsvorwurf zurückgenommen hätte, um die Familienehre, im Falle einer Begnadigung, nicht zu beschädigen. Eine schier irrationale, wenig nachvollziehbare Gesamtsituation.

Reyhaneh Jabbari lehnte dies aber ab. Sie blieb bei der Wahrheit, auch wenn sie bitter dafür bezahlen sollte. In ihrem Testament schrieb sie an ihre Mutter:

"Überlass mich dem Wind, damit er mich forttragen kann."

Jetzt ist sie fort, aber der Kampf gegen die individuelle Freiheit und für die Rechte und Stellung der Frauen im Iran geht weiter, wie die aktuellen Entwicklungen belegen. Schwere Proteste gegen die islamischen Kleidungsvorschriften löste der Tod der iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini im September 2022 aus. Sie starb im Polizeigewahrsam, nachdem sie wegen Missachtung jener Vorschriften festgenommen wurde. Protestteilnehmer*innen müssen bei Verhaftung auch hier mit schlimmsten Konsequenzen rechnen.

Somit wirkt "Wie man ein Schmetterling wird" tatsächlich wie eine Art Vorbote jener Ereignisse und Entwicklungen. So sehen Shole Pakravan und Steffi Niederzoll dieses Buch denn auch gleichermaßen als eine "friedliche Waffe im Kampf gegen die Todesstrafe und für Frauenrechte im Iran".

 

Thomas Lawall - Juli 2023

 

 

Für Fragen, Kritik und Anregungen steht unser Forum zur Verfügung

Home News Literatur Gedichte Kunst Philosophie Schräg Musik Film Garten Küche Gästebuch Forum Links Impressum