Literatur

West


von Carys Davies


206 Seiten
© 2018 Carys Davies
© der deutschen Ausgabe 2019
Luchterhand Literaturverlag
www.luchterhand-literaturverlag.de
ISBN 978-3-630-87606-1



Was ist das denn? Bereits der Blick auf die typografischen "Besonderheiten" des Buches erlaubt erste Befürchtungen. Großer Schriftgrad, großer Zeilenabstand, viele Absätze, kurze Kapitel, Leerseiten ... da wurde gedehnt, wo es nur geht. Dies geschieht meist aber nur aus einem Grund: Es ist nicht viel geboten ...

John Cyrus Bellmann ist mit seinem Leben unzufrieden. Ein besonders helles Licht ist er nicht, weshalb er in einem Zeitungsartikel die Lösung seines Problems zu entdecken glaubt. In Kentucky fand man angeblich die Knochen eines gigantischen Tieres. Nun will er sich von Pennsylvania aus aufmachen, das sagenhafte Tier zu suchen.

Und schon ahnt man es: Das wird mehr als lächerlich werden. Schnell verwandelt sich Verwunderung aber in Ärger, denn lange hat man nicht so eine wirklich naive Story gelesen. Nicht einmal Spurenelemente eines "Kleinods" oder gar einer "Geschichte von unvergleichlicher Wucht" lassen sich entdecken.

Der gute "Cy" verlässt seine 10jährige Tochter, die er in der sicheren Obhut seiner Schwester Julie glaubt, um nach Westen zu reiten. Im Gepäck hat er allerlei Krimskrams zusammengepackt, schließlich könnte man unterwegs Indianer antreffen, mit welchen dann Tauschgeschäfte getätigt werden könnten. Glasperlchen gegen Nahrung, beispielsweise. Geplant ist eine Reisedauer von ein bis zwei Jahren. Selten so einen Unsinn gelesen.

Vom "Mythos des amerikanischen Westens" ist in keiner Zeile etwas zu finden. Das "Abenteuer" ist derart farblos und langweilig geschrieben, dass einem hier Vergleiche schwerfallen. Blasse und völlig uninteressante Charaktere wechseln sich mit lieblosen Landschaftsbeschreibungen ab, und Jahreszeiten werden mit wenigen Worten regelrecht abgehandelt.

Getoppt wird das Dilemma nur noch durch eine entgleiste Metaphorik, so weit überhaupt vorhanden. Julie war einmal so verblüfft, dass man sie "mit einer Feder hätte umstoßen können". Alle Details, die Geschichten bereichern können und lesenswert gestalten, werden auf niedrigstem Niveau angeboten. Der Held hat schlicht und einfach "alle möglichen Wetterlagen erlebt, jede Vegetation und jeden Untergrund". Aha.

Allenthalben hat man hier den Eindruck, zum Narren gehalten zu werden. Selbst bei vereinzelt aufblitzenden Höhepunkten. Einmal wird tatsächlich "die Schönheit der Umgebung" wahrgenommen. Um dies nachdrücklich zu gestalten, genügen der Autorin aber weitere drei Zeilen. Und kaum befindet man sich im schier aussichtslosen Überlebenskampf mitten im Winter, ist prompt schon wieder Frühling und die ersten Beeren wachsen gar bereits ...

Und während Cy, in Begleitung eines Indianerjungen, sinnlos durch die Gegend reitet, wagen zu Hause der unmittelbare Nachbar und ein Bibliothekar Annäherungen an seine minderjährige Tochter. Na so was. Ob das gutgehen wird?

Aus diesem Stoff hätte man durchaus einen großen Roman entwickeln können, doch "West" fehlt es an allen Ecken an Kraft, Überzeugung und Glaubwürdigkeit. Und nach dem schrecklich peinlichen Ende möchte man diesen Roman so schnell wie möglich vergessen.

 

Thomas Lawall - Juli 2019

 

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