Literatur

Werden wir ersetzt?
Vom Fortschrittswahn zu einer Ökonomie
des gerechten Lebens


von Robert Skidelsky



430 Seiten
© der deutschen Ausgabe: Verlag Antje Kunstmann GmbH, München 2004
© der Originalausgabe: Robert Skidelsky, 2023
www.kunstmann.de
ISBN 978-3-95614-584-1



Im Jahr 2045 wird die technologische Entwicklung einen Kipppunkt erreichen, sagt der Erfinder, Autor und Utopist Ray Kurzweil voraus. Eine "technologische Singularität" wäre erreicht und ab diesem Zeitpunkt würden Maschinen ihre Weiterentwicklung "selbst übernehmen". Robert Skidelsky kommentiert diese Denkweise in einem Nebensatz kurz aber deutlich. 

Wie weit wird die Wissenschaft gehen? Kann sie sich weiterhin sicher sein, dass Maschinen stets nur "Sklaven unserer Zwecke" waren, sind und sein werden, oder kann man dies, sowohl für die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, eher umgekehrt interpretieren?

Robert Skidelsky erzählt vom "Mad Max der KI-Welt", dem reichsten Menschen der Welt, Elon Musk, der von einer "Gehirn-Maschine-Schnittstelle" träumt, die es ermöglichen soll, geistige Aktivitäten des Menschen zu optimieren. Neben allen Hoffnungen, neurologische Störungen beseitigen zu können, stellen sich hier ganze Fragenkataloge, allen voraus vielleicht die Frage nach dem Sinn jener geplanten "Gehirnerweiterungen", wenn die Wissenschaft bisher nur einen geringen Prozentsatz des Gehirns überhaupt verstanden hat?

Er berichtet vom Beginn des technischen Zeitalters, welches mit den Erfindungen der Dampf- und Webmaschinen im 18. Jahrhundert in Großbritannien begann. Die Handarbeit einzelner Personen wurde durch Massenherstellung, wie später so oft in anderen Bereichen, fast vollständig ersetzt. Doch um welchen Preis? Wurden Arbeiterinnen und Arbeiter vom "Joch aus Eisen und Dampf" befreit? Waren Fabriken "wundersame Kathedralen der Moderne" oder "finstere, satanische Mühlen"?

Er erzählt von "Businessmissionaren", erinnert an Utopien und Dystopien in der Literatur oder an "geistige und künstlerische Stimmungen im Europa des 18. Jahrhunderts", und er geht weiter zurück in den Geschichtsbüchern menschlicher Evolution als Leserinnen und Leser es sich vielleicht vorgestellt haben, und schießt damit womöglich über das gegebene Ziel hinaus. Selbst die Großmeister der griechischen Philosophie lassen grüßen.

Die Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem Buchtitel ergeben, stehen aber im Mittelpunkt des Interesses, werden jedoch durch den gewaltigen Rückblick in den Kindergarten der Wissenschaft, Religion, Philosophie und den allgemeinen geistigen Aufstieg der Menschheitsgeschichte, zunächst in den Hintergrund verbannt.

Das ist mitunter sehr mühsam, aber lehrreich für jene, die sich damit einen ganzheitlichen Überblick verschaffen wollen. Die zentralen Fragen drängeln sich aber ebenso permanent wie ungeduldig in den Vordergrund. Sind wir heute von mühsamer Arbeit weitgehend befreit, erleben immer mehr Freizeit, Vergnügen und Wohlstand oder sind wir "Sklaven des Überflüssigen"?

Vertreibt uns ein aufgeblasenes Internet jede "Illusion von Freiheit"? Werden wir auf unsere Nutzerdaten, die im Netz auf lukrative Weise feilgeboten werden, reduziert? Und wie sieht es mit der künstlichen Intelligenz aus? Was die Weiterentwicklung der KI in Sachen Bewusstsein betrifft, glaubt der Autor allerdings Entwarnung geben zu können. (Insoweit kann der Buchtitel also durchaus auf eine falsche Fährte führen.)

Dieses Buch hat in seiner Bandbreite und der geschichtlichen Dimension viel mit Stanley Kubriks "2001-Odyssee im Weltraum" gemeinsam, zumindest mit dem legendären Knochenwurf, dem vielleicht aufregendsten, allumfassendsten Filmschnitt der Geschichte des Science-Fiction-Films.

Fortschritt kann zum Wahn verführen, aber auch ein Segen sein, was im Prinzip keineswegs etwas Neues ist, also für alle Zeitepochen galt. Ein Überblick über das was war, bereits ist und werden könnte, bietet dieses Buch. Umfassend informativ und spannend, aber sehr beunruhigend zugleich. Ein leidenschaftlich-fundierter Aufruf zu kontrolliertem Fortschritt und Wachstum.

So wie es aussieht, haben wir (noch) die Wahl. Im Unterschied zu vergangenen Zeiten wird die Zeit für die richtigen Weichenstellungen aber verdammt knapp.

 

Thomas Lawall - Mai 2024

 

 

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