Wer zuletzt lacht, lebt noch
von Petra A. Bauer
232 Seiten © 2006 by Mitteldeutscher Verlag GmbH, Halle/Saale www.mitteldeutscherverlag.de www.tatort-ost.de www.writingwoman.de ISBN 3-89812-355-3
Dieser Fall geht Robina total auf die Nerven. Filmteam und Schauspieler scheinen allesamt Egomanen zu sein, die sich selbst als den Mittelpunkt des Universums definieren. Zwei Beamte hat sie der Schauspielerin Amelie Goldbach als persönliche Beschützer zugeteilt, nachdem diese eines Morgens eine überaus beunruhigende Entdeckung macht. Sie ist etwas früher am Set, und will ihren Text noch etwas üben, doch sie kommt nicht mehr dazu. In der Garderobe hat jemand an ihrem Platz mit rotem Lippenstift einen Smilie auf den Spiegel gemalt. Man möchte vermuten, dass sie "die nächste" ist ... was sie allerdings nicht davon abhält, der Bewachung zu entfliehen.
Robina Bernhardt stellt die beiden Beamten zur Rede, die in aller Ruhe einen Dreh am Fuße des Sowjetischen Ehrenmals verfolgen. Die Goldbach wollte nur kurz zur Toilette, sei aber schon rund 15 Minuten unterwegs! Ihr Wutausbruch verursacht eine Unterbrechung der Szene und bringt den entnervten Aufnahmeleiter zur Verzweiflung. Die Berliner Ermittlerin interessiert das allerdings nicht im Geringsten. Schließlich spurtet sie mit den Beamten los, klappert sämtliche Toiletten der Produktion ab um festzustellen, dass Frau Goldbach verschwunden ist. Schließlich hören sie hinter einem Wohnwagen einen Schrei und vermuten nun den dritten Mord des "Smilie-Killers". Schauspieler Karsten Obelhoff droht die Goldbach zu erwürgen und nennt sie dabei laut schreiend ein verdammtes Miststück. Schnell ist der vermeintliche Täter überwältigt und in Handschellen gelegt, doch schon verkündet das bleiche "Opfer", dass sie hier eben mal für die nächste Szene geprobt haben. Seltsam und ärgerlich schon genug, aber wenig später bringt die quirlige Ermittlerin in Erfahrung, dass eine solche Szene in dem hier entstehenden Film gar nicht vorgesehen ist ...
Das zweite Mordopfer hat ebenfalls mit der Filmproduktion zu tun. Er war Komparse. Schrecklich zugerichtet findet man ihn am U-Bahnhof Alexanderplatz. In die Blutlache neben seinem Kopf malte der Täter einen Smilie, offenbar sein Markenzeichen, welches er auch schon beim ersten Mord eindrucksvoll inszenierte.
Das erste Opfer findet sich in der Nikolaikirche auf dem Gitter des Baurmeister-Grabdenkmals aufgespießt. Erwischt hat es den bekannten Schauspieler Christoph Bruckner. Hinweise auf die Umstände seines Todes gibt es nicht die geringsten. Auch die Untersuchung seiner Wohnung ergibt zunächst keinen Aufschluss. Merkwürdig erscheinen lediglich der düstere Charakter seiner Wohnung, insbesondere sein Musikzimmer. Darin befinden sich ein weißer Flügel und eine Anrichte, die wie ein Altar wirkt. Robina Bernhardt entzündet alle 27 Kerzen und versucht sich in die Welt des Opfers hineinzudenken. Was war hier geschehen ... und was zum Teufel hat ein Atheist in einer Kirche verloren ... ?
Das vierte Buch der Berliner Journalistin, Sach-, Kinder- und Jugendbuchautorin ist ihr erster Kriminalroman, der zudem die Krimireihe „Tatort Ost“ des Mitteldeutschen Verlags (mdv) eröffnet. Mit viel Witz und einem besonderen Konzept führt sie die Hauptperson durch die Handlung. Die Kapitelüberschriften bestehen allesamt aus Songtiteln gänzlich verschiedener Interpreten. Sind es nun die Beatles, Carly Simon oder Genesis. Die Auswahl zeugt von der erstaunlichen Bandbreite und dem Tiefgang ihres Musikgeschmacks. Stellvertretend für sie mag die Hauptperson Robina Bernhardt agieren, denn auch sie hat ständig einen Song im Kopf, was im Roman durch die imaginären "Ollys" transportiert wird. Zu jeweils passender (oder auch nicht passender) Gelegenheit, trällern "Molly, Polly und Dolly" einen Song. Beim Aufstehen am frühen Morgen kann das z.B. "Wake up, little Susie" sein oder wenn Partner Sven mal wieder die Schnauze voll hat und wütend die (nicht gemeinsame) Wohnung verlässt "Ain't no sunshine when he's gone", wobei Musikkennerin Bauer nicht vergisst zu erwähnen, dass Mister Bill Withers das Lied natürlich viel besser singen kann als die "Ollys" und dass es im Original natürlich "she" und nicht "he" heißt, wie Robina bei passender Gelegenheit immer mitzusingen pflegt. Diese Art der musikalischen Text-Begleitung finde ich sehr gelungen, zumal es meinem persönlichen Empfinden sehr entgegenkommt.
Was Autos betrifft, scheint die Autorin einen ebenso erlesenen Geschmack zu haben, denn ihrer Heldin verpasst sie kein geringeres als das schönste Auto, das auf Erden jemals gesichtet wurde. Es wurde in Frankreich gebaut und die Welt kennt sie als "Göttin", doch für Robina Bernhardt ist der Citroën DS selbstverständlich männlich ... !
Ein weiteres Ritual der mit unfreiwilliger Situationskomik gesegneten Hauptdarstellerin ist der Wunsch nach einer ordentlichen Morgenlatte. Diese besorgt sie sich allerdings voll emanzipiert und per Knopfdruck jeden Morgen aus einer wundersamen Maschine in der Küche. Ihre Beziehungsprobleme kommen uns mitunter sehr bekannt vor - ebenso Probleme mit den Eltern sowie diverse Meinungsverschiedenheiten mit neuen unerfahrenen Kollegen. Verkörpert wird diese erbarmungswürdige Spezies durch Schultze-Diepersdorf, der nicht nur wegen seines Names einiges durchzumachen hat. Schwarzer Humor ist der Ermittlerin ebenfalls nicht unbekannt, was vielleicht auch ein Streiflicht auf die Autorin wirft. Monika Kleinmann ist die Frau des zweiten Mordopfers und zutieft erschüttert. Sie kann es nicht fassen, dass ihr geliebter Mann nicht mehr nach Hause kommen wird. Ihre Wimperntusche löst sich in langen schwarzen Schlieren auf und läuft ihr die Wangen hinunter - die Robina Bernhardt sofort und irgendwie an Alice Cooper erinnern. Selbstverständlich bereut sie solches Gedankengut umgehend ...
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