Literatur

Wer kennt diese Frau?

von Nicole Eick


306 Seiten
Erste Auflage, November 2021
© edition tingeltangel, München
www.edition-tingeltangel.de
ISBN 978-3-944936-59-8



Einen Überblick über die Anzahl der erschienenen Regionalkrimis zu erlangen dürfte schwierig, wenn nicht sogar unmöglich sein. Selbst bei Kennern des Genres stellen sich angesichts des Überangebots Anzeichen von Überlastung und, leider auch gar nicht mal so selten, Langeweile ein. Dem sich ewig drehenden Karussell von Straftaten, Ermittlungen und den oft als Füllmaterial eingeflochtenen privaten Befindlichkeiten der handelnden Personen ist man nicht selten einfach überdrüssig geworden.

Aber es gibt immer wieder Ausnahmen, und jene sind meist in den etwas kleineren Verlagen zu finden, welche sich um Perlen bemühen, die fern des Mainstreams für echte Überraschungen sorgen. "Wer kennt diese Frau?" gehört in diese Gruppe und zwar in allen Belangen!

Selbst das äußere Erscheinungsbild tanzt, in Sachen Gestaltung, schon mal angenehm aus der Reihe, nicht nur, was das ebenso markante wie originelle Verlagslogo betrifft. Auch den Hauptpersonen wird eine Sonderbehandlung zuteil, die sich durch die Zuordnung von Vignetten am jeweiligen Kapitelanfang auszeichnet. Das erleichtert den ständigen, aber durchaus notwendigen, Wechsel der Erzählperspektive.

Man ist "Lichtjahre von der Lösung des Falls entfernt", was sich so schnell auch nicht ändert. Ganz im Gegenteil. Was am Anfang wenig kompliziert klingt, wird es im weiteren Verlauf immer mehr. Gut so, denn das Lesevergnügen und die Spannungskurve geben somit nicht so schnell auf. Das "Vergnügen" wird allerdings insofern relativiert, als sich die Story so nach und nach auf Abgründe zubewegt, die man so in keinem Fall erwartet hätte.

Nichts Neues ist der Besuch von Männern bei Prostituierten. So weit, so klar. Dass dies auch und besonders Prominente tun, ebenso. An Frauenärzte denkt man da weniger, aber in diesem Fall ist es so. Leider überlebt es ein solcher nicht, und nun gilt es herauszufinden wieso. Er war Kunde bei der Prostituierten Eva, die plötzlich verschwunden ist. Ebenso verschwunden ist deren Putzfrau Gudrun, und mit ihr ermittlungstechnische Hinweise und Beweise, die sie zum Schutz ihrer Arbeitgeberin beseitigen will.

Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht Evas, Gudruns und dem ermittelnden Personal Dominique Brodbecker und Alfred Meister, und genau jener Wechsel der jeweils kurzen Kapitel sorgt für eine nicht abflauende Dauerspannung. Diese garniert Nicole Eick nicht ohne hintersinnigen Wortwitz, der sich in fast leicht zu übersehenden Stilblüten versteckt. Ein Dr. Wagner, mit Praxis in Bayreuth zum Beispiel. An anderer Stelle überrascht sie mit einer schrägen Umkehr der Beweislast.

Neben dem spannenden Fall und dessen schier unmöglich erscheinenden Auflösung, hat die Autorin aber noch andere Asse im Ärmel, denn das eigentliche Thema der Geschichte ist ein völlig anderes. Hier überschreitet sie die Grenzen eines gesellschaftlichen Tabuthemas, welches in diesem Fall leider relevant für die Auflösung ist, und nicht verraten werden soll. Das einzige Dilemma dieses Romans, denn vielleicht wäre ihm eine weitere Verbreitung garantiert, wenn es genau mit jenem Thema beworben werden könnte.

Genau aus diesem Grund muss der Rezensent das Fazit so "laut" wie möglich formulieren. In dieser Geschichte stimmt einfach alles. Neben der schon angesprochenen Gestaltung, übrigens auch das Lokalkolorit Bambergs, bis hin zu wohldosierter Verwendung fränkischer Dialektperlen. Die Charakterisierungen des Ermittlerteams sind ebenso glaubwürdig wie Gudruns und Evas Lebensgeschichten, die in ihrem Umfang und Tragweite bei weitem noch nicht in jedem Kopf angekommen sind.

Nach dem mehrfachen Paukenschlag am Ende bleiben neben der völlig unerwarteten Situation ein paar winzige Nebenstränge der Handlung offen. Was somit bleibt, ist die freudige Gewissheit, dass es mit dem, schon rein optisch, grundverschiedenen Ermittlerduo eine (oder mehrere) Fortsetzungen geben wird. Schon deshalb ist eine uneingeschränkte Leseempfehlung unvermeidlich.

 

Thomas Lawall - April 2022

 

 

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