Literatur

Wer Sünde sät

von Hans W. Cramer


284 Seiten
© 2016 - Gmeiner-Verlag GmbH
www.gmeiner-verlag.de
ISBN 978-3-8392-1884-6



"Wenn Sie Ihre Frau wiedersehen wollen, lassen Sie die Polizei aus dem Spiel!" Was sich wie eine abgenudelte Phrase aus einschlägigen Romanen und TV-Krimi-Produktionen anhört, nimmt Dr. Ulrich Beilstein durchaus ernst, obwohl dem Oberarzt erst auf den zweiten Blick klar wird, dass sich der Unbekannte wohl keinen üblen Scherz erlaubt hat. Dazu wirken die Worte letztlich einfach zu direkt und klar. 

Seine Frau wacht auf. Sie befindet sich an einem ihr unbekannten Ort und liegt auf einem Feldbett in einem mit einer Stahltür gesicherten Raum ohne Fenster. Langsam kommen Erinnerungen an den Vorabend zurück. An einer Tankstelle wollte sie etwas zu trinken holen, als sie ein Mann ansprach, den sie seit dreißig Jahren nicht mehr gesehen hatte. Der Versuch, ihn aus ihrem Gedächtnis zu löschen, schlug wohl fehl. Ebenso die Folgen der Ereignisse damals. Sie war erst siebzehn Jahre alt.

Rechtsanwalt Dr. Stefan Burger war lange genug damit beschäftigt, das Ehemaligentreffen seiner Abiturklasse zu organisieren. Zudem ist er in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Golfclubs "Nahegrund" ganz aktuell noch mit größeren Problemen auf der Anlage beschäftigt. Seit dem Umbau von "Fairway sieben" gibt es zahlreiche "Beschwerden über das linke Rough", was zu weiteren, nicht vorhersehbaren, Komplikationen führt. Bei einer weiteren Umgestaltung wird eine mumifizierte Leiche gefunden.

Auf dem zeitgleich stattfindenden Treffen geht zunächst alles gut, bis sich auch dort der weitere Verlauf unerwartet zuspitzt. Etwas stimmt mit der gemeinsamen Vergangenheit nicht. Zusammenhänge sind zunächst nicht erkennbar, doch etwas scheint ins Rollen gekommen zu sein. Und es lässt sich nicht mehr aufhalten ...

Wenn man gerade einen "Thriller" der langweiligen Art gelesen hat, kommt "Wer Sünde sät" doppelt so gut. Schon auf den ersten Seiten merkt man, dass hier wieder ganz anders erzählt wird. Keine profane Geschichtenerzählerei, sondern es wird sofort persönlich: Die drei Seiten Prolog sind eine einzige, unheilvolle Charakterisierung.

Hans W. Cramer baut seinen Thriller vielschichtig und komplex auf. Fast zwangsläufig muss er sie auf mehreren Ebenen anlegen. Er schreckt auch nicht davor zurück, die Erzählperspektive zu ändern, indem er auf Seite 48 vom imaginären Erzähler plötzlich zur Ich-Form wechselt. Eine weitere Ebene entwickelt sich in Kapiteln mit kursivem Schriftbild - man ahnt nichts Gutes.

Die Charaktere werden deutlich gezeichnet, indem sie in den jeweiligen sozialen Strukturen entstehen, die sie prägen und fast in erschreckendem und unheilvollem Maß beeinflussen und festigen. Egal ob es sich um Jugendliche und deren ureigene Egozentrik handelt, die gnadenlosen Gefühlsverwirrungen einer Mutter, die ihr Kind sofort nach der Geburt zur Adoption freigibt, oder sexuellen Missbrauch, mit allen "vertrauensbildenden" Vorstufen, innerhalb der Familie und dessen fatale Folgen, die spätestens mit der Einschulung auch für die Öffentlichkeit sichtbar werden, welche aber zu allem Überfluss jene Zeichen oftmals gar nicht zu deuten weiß.

Insofern geht "Wer Sünde sät" weit über die alberne Suche nach einem oder mehreren Tätern, dem üblichen Locken auf falsche Fährten und dem damit verbundenen Katz- und Mausspiel hinaus. Leider lässt die atmosphärische Dichte gegen Ende des Romans deutlich nach, da sich alles nur noch um die Story selbst dreht. Man wünscht sich mehr Personen und Charakterisierungen wie die der "Dr. Sabine Funda", welche aus einem "Konzentrat eingeschalteter Sensoren" zu bestehen scheint.

Dennoch bereiten Rechtsanwalt Stefan Burger, der verlorene Sohn Christoph Butzek, Oberarzt Dr. Ulrich Beilstein und seine drei schrägen Kumpels Philo, Raster und Sabine mit ihren ebenso privaten wie unkonventionellen Ermittlungen ein nicht unbedingt alltägliches Lesevergnügen, welches mit einem Bluff und einem Augenzwinkern endet. Und mit Neugier. Auf das, was Hans W. Cramer wohl in seinem nächsten Kriminalroman aushecken wird.

 

Thomas Lawall - Juni 2016

 

 

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