Literatur

Wende und Winkel / Zmĕny a zákoutí
Gedichte - deutsch und tschechisch


von Klára Hůrková


96 Seiten
© Edition Thaleia, St. Ingbert 2012
www.edition-thaleia.de
www.hurkovaklara.de
ISBN 978-3-924944-99-5



Was ich für ein Glück habe, einen solchen (Buch-)Schatz gefunden zu haben. Vom Verlag Edition Thaleia bin ich zwar von enttäuschenden Veröffentlichungen bislang grundsätzlich verschont worden, dennoch weiß dieses Büchlein ganz besonders zu gefallen!

Nach dem "Umzug" auf Seite 8 blieb ich bereits auf Seite 10 in der "Rumpelkammer" hängen. Das bedeutet jetzt aber keineswegs, dass mir das erste Gedicht nicht gefallen hätte. Ganz im Gegenteil, denn ich kenne diese Umzüge nur zu gut. Besonders jene Wände, die "heiß und eng wurden wie Waffeleisen und immer näher kamen"!

Noch in Gedanken an eigene zahlreiche Fluchten versunken, blätterte ich an der tschechischen Übersetzung von "Umzug" vorbei auf Seite 10. Diese Kammer hat es mir dann angetan. Und es wird allen Menschen gefallen, die sich ungern von ihren alten Sachen trennen, oder denen von Mutter und Vater oder Oma und Opa. Vordergründig geht es um materielle Hinterlassenschaften und was passieren kann, wenn man sich - vielleicht etwas voreilig - von diesem oder jenem trennt, die eigentliche Bedeutung der entsorgten Gegenstände aber gründlich unterschätzt hat: "Plötzlich war meine Ordnung gestört ...". Selbst ein bloßes Reinigen kann das Gleichgewicht stören, indem die Gegenstände "verwaisen": "Im neuen Licht des Staubs beraubt."

Insgesamt ist "Rumpelkammer" ein bezauberndes Plädoyer für die Macht und die Kraft der Erinnerungen und vielleicht ein Angebot an alle Zweifler, die Vergangenheit ruhen zu lassen und zu nehmen wie sie halt nun einmal war. Zudem baut das Gedicht eine Brücke zu einem "Flohmarkt in Belgien". All die schönen (oder nicht schönen) Sachen scheinen mit dem Verkauf einverstanden, "doch niemand will wirklich die Rumpelkammer verlassen".

Fast losreißen musste ich mich, denn es geht ja noch weiter. Immer noch im ersten Kapitel befindlich, geht es natürlich auch um das "Gepäck". Belangloses Zeug zumeist, doch "das einzige, was Gewicht hat sind Bücher". Und was die Dichterin ihnen erlaubt, soll ungesund sein. Sie dürfen in einem Zimmer mit ihr schlafen, auch wenn damit die eine oder andere Schlaflosgkeit vorprogrammiert ist, denn

"... sie können mit sich selbst
und miteinander reden
Nachtfalter von der Wand
und meinen Schlaf vertreiben."

Klára Hůrková schreibt ihre Gedichte ähnlich, wie sie ihre Illustrationen komponiert. Ebenso reduziert wie eindringlich wirken Bilder und Worte, die sich kongenial ergänzen. Bilder von Häusern und Landschaften wirken seltsam blass und verlassen. Sie kommen ohne Menschen aus. In ihren Zeilen schenkt die Autorin nur wenigen einen Moment Beachtung. So denkt sie in "Rückgabe" an einen geliebten Menschen, für den sie ein Gedicht geschrieben hat. Jene Nacht kehrt zurück "und will es zurückhaben".  Ein Gedicht widmet sie ihrer Mutter. "Das Herz" ist ein berührendes Dankeschön auf der einen und ein Klagegesang auf die Vergänglichkeit der Welt auf der anderen Seite.

Über allem, was Klára Hůrková zu sagen hat, liegt ein Schleier aus Melancholie. Die Trauer und ein Wehklagen, diese Welt einst verlassen zu müssen, scheint allgegenwärtig. Wie jener Vorhang in ihrer ersten Illustration, der den klaren Blick auf eine gegenüberliegende Häuserfront verschleiert. Die Sehnsucht nach Vergangenem und einem Platz in dieser Welt - "Ich warte auf den Ort" - vereint sich mit der traurigen Gewissheit um das Ende von allem.

Am Schluss bleibt "Für das neue Jahr" ein Lichtblick, der im letzen Gedicht gleich wieder zu vergehen scheint. Wohl deshalb bleibt es ohne Titel. Zurück bleiben Zweifel und Fragen, die keine Antworten dulden. Etwas bedrückt legt man das Buch beiseite, um es sehr bald wieder in die Hand zu nehmen. Man mag ihre Sicht der Dinge oder man mag sie nicht. Ich mag sie sehr gerne. Und immer wieder.

 

Thomas Lawall - September 2012

 

 

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