Volturnus schläft
von Bettina Schott
344 Seiten ©Bettina Schott Selbstverlag; Bettina Schott, Kapellenstr. 20, 88515 Andelfingen bettinaschott.blog.de ISBN-13: 978-1505990041 ISBN-10: 1505990041
April 1748. Ursel und Barthel sitzen am Waldrand in der Nähe der Monhardter Wasserstube. Barthel sucht nach Worten, was ihm noch schwerer fällt als gewöhnlich, da er die freudige Erwartung seiner Angebeteten spürt. Schließlich formuliert er in ebenso einfachen wie eindringlichen Worten sein Anliegen. Viel zu bieten hätte er nicht. Lediglich sich selbst und seinen kleinen Hof. Dennoch möchte er ihren Vater "um eine Heirat ersuchen".
Leider hat Ursels Vater andere Pläne. Vallentin Forstleitner möchte seine Tochter mit seinem großen Konkurrenten Wentzel Hornbacher verheiraten. Dieser betreibt in großem Stil die "Holland-Flößerei", welcher sich Vallentin nicht anschließen möchte, da er eine immer größer werdende Ausbeutung der Baumbestände des Schwarzwaldes befürchtet.
Was genau er mit diesem Vorhaben erreichen will, bleibt unklar - auch seinem Sohn Hinrich, der die vom Vater betriebene "Scheiterholzflößerei" aufgeben möchte, um sich ebenfalls ein Geschäft mit den Holländern aufzubauen. Einig wird man sich in dieser Sache nicht, was zu erheblichen Konflikten führt.
Doch das sind nicht die einzigen in Altensteig. Auch der Alltag der Wirtstochter Agnes gerät aus den Fugen. Wie gerne würde sie die "Deutsche Schule" besuchen, um Literatur und Medizin zu studieren, doch ein Mädchen ihres Standes besitzt keinerlei Legitimation, eine solche Lehranstalt zu besuchen.
Agnes schon gar nicht, denn sie ist von Geburt an blind. Während der alte Schulmeister die Teilnahme am Unterricht der Volksschule erlaubte, wurde sie vom neuen Schulmeister der Schule verwiesen. "Krüppel" könne man in der Schule nicht gebrauchen. Sie solle gefälligst ihre Zeit mit Gebeten an Krankenbetten oder für das Singen von Liedern im Armenheim verbringen.
Bettina Schott entwirft ein Alltagsszenario aus längst vergessenen Tagen. Sie siedelt ihre Geschichte im 18. Jahrhundert an, mitten im Leben und Alltag der Schwarzwälder Flößer, die damals ein einträgliches Geschäft pflegten. Ihre handelnden Figuren spiegeln die damaligen Lebensumstände wieder sowie die sozialen Spannungen, die sich aus den rasch steigenden Einkommensverhältnissen der Flößer zwangsläufig ergaben.
Insofern hat der Roman einen sehr realen Bezug, der selbst nach beendeter Lektüre weiter wirkt. Über die Geschichte hinaus erhält man Lust und Anregung, sich mit dem (in Mitteleuropa) ausgestorbenen Beruf des Flößers genauer zu beschäftigen. Die sehr exakt geschilderten Arbeitsabläufe findet man in entsprechender Fachliteratur bestätigt. Sowohl was die regionalen Techniken betrifft, als auch das Verbringen von riesigen Mengen Holz auf und mit gigantischen Flößen rheinabwärts bis nach Holland. Wer kann sich heute noch vorstellen, dass auf jenen Transporten jeweils bis zu 400 Ruderknechte und mehr beschäftigt wurden.
Auch wenig erbauliche gesellschaftliche Zwänge und geschichtliche Daten streift die Autorin, wie beispielsweise Zwangsheirat und Österreichischen Erbfolgekrieg. Auch ganz Alltägliches bereichert die Geschichte, selbst wenn es sich nur um die mühselige Herstellung von Butter handelt, oder den Waschtag, der "rund viermal im Jahr" stattfand.
Details, wie ein Unfall beim Holztransport oder der Bau des Stadtbrunnens 1748 entsprechen den historischen Tatsachen. Die Person des Vogts Georg Ludwig Hegel, damals Oberamtmann in Altensteig, gab es wirklich und die detailliert geschilderte "Monhardter Wasserstube", eine Staustufe, die den Transport von Baumstämmen ermöglichte, gibt es inzwischen sogar wieder.
Entsprechend real wirkt die Geschichte rund um die blinde Wirtstochter Agnes und die streitbaren Flößerfamilien. Diese, aber auch Charaktere, die eher eine Nebenrolle besetzen, zeichnet Bettina Schott gleichsam mit Sorgfalt. Manchmal sogar in erschreckend realistischer Form, wie beispielsweise Pfarrer Wiener, dessen abgründiger Charakter sich erst so nach und nach offenbart, um schließlich gänzlich abzustürzen.
Ein mystisches Element kommt durch die Erzählungen des "alten Bronners" auf, der von diversen Naturgeistern zu erzählen weiß, allen voran dem Flussgeist "Volturnus". Die Autorin kann auch mit einem teils recht rustikalen Humor überraschen, der umso komischer wirkt, als er ebenso überraschend wie aus dem Handgelenk formuliert daherkommt. Im Prinzip kann man mit dieser Lektüre, welche die Autorin ab einem Alter von 14 Jahren empfiehlt, so gar nichts falsch machen. Ganz im Gegenteil, denn sie konstruiert ihn so, dass neben Liebhabern historischer Geschichten auch Leser von Kriminalromanen auf ihre Kosten kommen.
Am Ende darf also mit einer völlig unerwarteten Überraschung gerechnet werden. Ebenfalls überraschend sind allerdings einige offene Handlungsstränge, insbesondere der weitere Lebensweg einer Inhaftierten, auf welche an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden kann. Wenn diese Umstände allerdings auf einen zweiten Teil hinweisen sollten, wäre dies ebenso verzeihlich wie sehr zu begrüßen.
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