Literatur

Uns zusammenhalten

von Mirthe van Doornik


312 Seiten
© der deutschen Übersetzung 2021
Haymon Verlag, Innsbruck-Wien
© Originalausgabe 2018 Mirthe van Doornik
www.haymonverlag.at
ISBN 978-3-7099-8126-9



Man soll ja in einer Buchbesprechung nicht zu persönlich werden. In diesem Fall ist es aber schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Als ehemaliger, mehrfacher Pflegevater ist der Rezensent mit dem Thema Alkoholismus sehr oft konfrontiert worden. Was die Betroffenen sich selbst und vor allem ihren Kindern antun, ist ihm schon fast vertraut, obgleich er es in aller Regel immer "nur" mit den Resultaten, also den mehr oder weniger katastrophalen Folgen dieses Handelns oder auch Nichthandelns zu tun bekam.

Wenn überhaupt, dauert es sehr lange, bis die Kinder reden. Vertrauen aufbauen braucht Geduld. Und sie müssen lernen, dass sie für das Lebensdrama ihrer Eltern keinerlei Verantwortung tragen. Was sie jahrelang ertragen mussten, bleibt oft im Verborgenen. Genau jenes, für Außenstehende meist unbekannte Gebiet, bildet den roten Faden des Buches.

"Uns zusammenhalten" ist also keineswegs ein federleichter Unterhaltungsroman, andererseits aber auch keine schwermütige Klageschrift gescheiterter Lebensentwürfe. Es ist die Geschichte zweier Mädchen, die aus den Trümmern ihrer Kindheit herauswachsen und lernen, eigene Wege zu gehen.

Doch diese müssen erst einmal gefunden werden. 1997 fangen Kine und Nico, im Alter von elf und vierzehn Jahren, an, zu erzählen. Jeweils in der Ich-Form schildern sie abwechselnd, wie sie sich selbst, ihre Schwester, ihre Mutter und das Leben überhaupt, sehen und erleben. Diese Mischung aus kindlicher Naivität, Zuversicht, Hoffnung und totaler Verzweiflung ist ebenso rührend wie erschütternd und manchmal nur sehr schwer zu ertragen.

"Wie in dem Moment, in dem man nicht auf ein Wort kommt, so steht die Zeit in der Wohnung still, als könnte jemand schon sehr lange nicht auf ein Wort kommen."

Wie auch im realen Leben sieht man es den Heranwachsenden an, dass vielleicht etwas nicht stimmen könnte. Jenes trügerische Erscheinungsbild ist jedoch gegen das, was sich in der jeweiligen "Wirklichkeit" abspielt, ein lächerlich bedeutungsloser Aspekt.

"Drei" Mütter haben Kine und Nico. Die liebevolle großherzige, die welterklärende und die betrunkene Mutter. Mit großer Sensibilität navigiert Mirthe van Doornik durch die Tiefen zweier junger Seelen, die, völlig auf sich alleine gestellt, Wege zu eigenen Lebensentwürfen finden müssen, um nicht unterzugehen. Auch wenn sie sich in zunehmendem Alter immer weiter voneinander zu entfernen scheinen, bilden jene Entwicklungen dennoch den Rahmen, der dies alles erst möglich machte.

Was ist mit all den ewigen Streitereien, den verlorenen Tagen, der sinnlosen Zeit und den tausend bösen Worten, die übersetzt doch etwas ganz anderes bedeuten:

"Lieb mich doch, rufen sie hin und her. Lieb mich doch einfach."

Einen Halt müssen sie sich erfinden und sind es, wenn auch zunächst unbemerkt, doch füreinander.

Fazit: Sensibel erzähltes Familiendrama. Innere Fluchten und ein Herumirren. Die lange Reise in ein Ankommen.

 

Thomas Lawall - Januar 2022

 

 

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