Und plötzlich sind sie 13 oder: Die Kunst einen Kaktus zu umarmen
von Claudia & David Arp
240 Seiten 28. Auflage 2005 Brunnen Verlag Gießen ISBN 3-7655-1858-1
Bereits 1986 erschien das amerikanische Original unter dem Titel "Almost Thirteen. Shaping your child's teenage years today". 1994 wurde das Werk für die deutsche Veröffentlichung neu bearbeitet und aktualisiert. 2005 erschien es bereits in der 28. Auflage. Nun könnte man meinen, dies Buch wäre inzwischen leicht angestaubt und könnte heutigen Maßstäben nicht mehr gerecht werden. Ein Irrtum, wie sich ganz schnell herausstellt...
"Die Pubertät ist eine Phase, in der Kinder mit niemandem in der Familie etwas zu tun haben wollen, in einem Chaos hausen, das sie 'mein Zimmer' nennen, und nur drei mal am Tag auftauchen, um etwas Essbares hinunterzuschlingen und die Familie anzuknurren." Durch diese Art der Formulierung wird sehr schnell klar, dass hier keinerlei erhobener Zeigefinger zu erwarten ist, sondern dass die "Problematik" erstens mit dem nötigen Abstand und, was ungleich wichtiger ist, mit einer gehörigen Portion Humor behandelt wird!
Was schon im alternativen Buchtitel zu lesen ist, wird später konkretisiert: "Jugendliche zwischen dreizehn und sechzehn sind in der Regel so ausgeglichen wie ein Jojo und so zugänglich wie ein Wüstenkaktus."
Nun sind ja unsere Kinder, ob es nun die eigenen, Stief- oder Pflegekinder sind, teilweise schon fast 16 bzw. über 20, aber dennoch machte mich der Titel des vorliegenden Buches einfach neugierig. Es könnte ja zudem sein, tatsächlich noch etwas dazulernen zu können. Dies war eher nicht der Fall, aber in vielen Punkten wurde ich einfach bestätigt. Claudia und David Arp haben sicherlich kein allgemein gültiges Rezept gefunden, wie mit Teenagern grundsätzlich und in jedem Fall umzugehen ist, aber sie verweisen mit ihren Ansichten auf eine ganze Vielzahl von möglichen Wegen.
Als Grundvoraussetzung beschreiben die Autoren die "Vier Säulen einer guten Beziehung". Eine zentrale Bedeutung bildet hier das bedingungslose Vertrauen in die Kinder. Natürlich wird dieses gelegentlich missbraucht, aber dennoch gibt es fast kein wichtigeres Thema, und ich kann das aus eigener Erfahrung nur bestätigen. Kinder, denen man permanent das Vertrauen entzieht, stellen sich irgendwann selbst in Frage, und geben sich im schlimmsten Fall sogar ganz auf! Diese Problematik erlebe ich immer wieder (auch) bei Pflegekindern, und es wundert mich in diesem Zusammenhang nicht, dass diese Kinder schon so viel "Scheiße gebaut" haben. Es wurde ja schließlich gar nichts anderes von ihnen erwartet...!!!
Positives Denken und die (erlernbare) Fähigkeit, seinen Kindern zuzuhören, bilden weitere tragende Rollen auf der Bühne des Erziehungsalltags. Im Kapitel 5 "Laber mich nicht voll" heißt es dann auch sehr richtig: "Zuhören, nicht belehren!", oder "Wenn unsere Kinder uns etwas erzählen, wollen sie meistens gar nicht unsere Meinung hören. Sie bitten uns lediglich, ihnen zuzuhören." In diesen Momenten öffnen die Kinder wichtige Türen, die wir Erwachsenen in keinem Fall zuwerfen dürfen, denn "Jugendliche sind oft wie Schildkröten: Sie strecken vorsichtig den Kopf heraus und testen, ob sie es wagen können, zu sagen, wie ihnen wirklich ums Herz ist. Das kann so aussehen, dass sie beispielsweise eine schockierende Bemerkung in den Raum schleudern. Wenn darauf keine entrüstete Reaktion erfolgt, können sie weiterreden. Folgt eine Belehrung, ziehen sie sich wieder in ihren Panzer zurück."
Sehr nützliche Ratschläge findet man auch in Kapitel 7 "Kapitulation vor dem Chaos?" Als Erziehungspersonal sieht man die Dinge wesentlich entspannter, wenn einem klar wird, dass man nicht in jeder Schlacht siegen wird! "Darum müssen wir auswählen, welche Kämpfe es wert sind, dass wir sie kämpfen."
Als Kritik möchte ich -mit allem Respekt- einfügen, dass mir der christliche Hintergrund, der im weiteren Verlauf des Buches immer mehr an Gewicht zunimmt, weniger zusagt. Im Abschnitt "Wichtiges und weniger Wichtiges" geht es um das Thema Kommunikationskiller, die durch ewige Diskussionen um "zweitrangige Fragen" ausgelöst werden. Beispiele hierfür sind Unordnung im Zimmer, schlampiges Outfit oder Nichtigkeiten wie lange und fettige Haare bei Jungs. Wichtig hingegen sind "ethische Wertvorstellungen, Aufrichtigkeit und Beziehung zu Freunden und zu Gott...". Zu den ethischen Grundsatzfragen gehöre auch der Sex vor der Ehe "und darüber kann es keine Diskussion geben"...
Nun kann ich mit letztgenanntem Unfug wenig anfangen und ganz aus ist es bei mir, wenn es dann in Kapitel 11 "Kurskorrektur zwischendurch" auf Seite 212 heißt: "Wir haben festgestellt, dass wir viel weniger an unseren Kindern herumnörgeln, wenn wir unsere Anliegen im Gebet an Gott abgegeben hatten. Die Probleme sind jetzt in Gottes Hand, darum brauchen wir uns nicht mehr so viele Sorgen darum zu machen."
So leicht ist das also. Einfach die Problemchen beim Herrgott abgeben...
Nun will ich mich aber mit diesem unerschöpflichen Thema nicht weiter aufhalten. Nur eines vielleicht noch: In einem vermeintlichen Sachbuch über Erziehungsfragen erwarte ich keine permanenten Hinweise auf Bibelverse etc., sondern eben sachbezogene Thematik, die gewisse Weltanschauungen außen vor lässt.
Weitere Kritikpunkte liefern der "Musikvertrag" auf Seite 129 und Kapitel 9 "Start in die Teenagerzeit: Projekt Zwölf-Einhalb". Hier schießen die Autoren etwas über das Ziel hinaus. Ich kann doch nicht ernsthaft die These vertreten, 13-jährigen das Anhören von Musik, die gemeinsam mit den Eltern ausgewählt wurde, in einem "Musikvertrag" auch noch schriftlich zu fixieren. So einen Unsinn habe ich wirklich noch nicht gelesen. Ich halte dies für völlig inakzeptabel. Meine Kinder hören was sie wollen - so wie ich das in meiner Jugendzeit auch getan habe. Niemand, aber wirklich niemand, hat hier in irgend einer Weise auch nur das geringste Mitspracherecht gehabt.
Eine weitere Übertreibung (des Gutgemeinten) ist das zitierte "Projekt Zwölf-Einhalb". Hier geht es darum, einen "Fahrplan für den Start in die Pupertät" aufzustellen. Bis zum dreizehnten Geburtstag sollen die Zöglinge bestimmte Fähigkeiten erreichen. Vier Bereiche werden genannt: 1. Sport, 2. Wissen und Verstehen, 3. Glaubensfragen und 4. Praktische Dinge.
Das mag ja bei Kindern funktionieren, die tatsächlich schon halbe Erwachsene sind bzw. besonders begabt sind. Unsere eher "normal" begabten Kinder wären fast alle restlos überfordert gewesen. Zu Punkt 1: Sportliche Leistungen haben bei uns noch nie eine Rolle gespielt, es sei denn, das jeweilige Kind hatte eigene Ambitionen! Zu Punkt 2: "Eine Lebensbeschreibung einer großen christlichen Persönlichkeit lesen und eine Zusammenfassung darüber zu schreiben" hätte wohl jedes unserer insgesamt 11 Kinder restlos überfordert. Was soll das? Zu Punkt 3: Glaubensfragen spielen bei uns ebenfalls keine Rolle. Wir sind bekennende Ungläubige. Wir "glauben" eher an die Welt, das Leben und an uns selbst. Wer eine bestimmte Religion praktizieren möchte, kann dies aber gerne tun! Das passiert ganz von selbst und OHNE unser Zutun! (Beispiel: Unser (Pflege-)Sohn S. (15) hat jetzt seinen Weg zu Gott gefunden. Von uns hat er das nicht. Wir finden's trotzdem toll!) Zu Punkt 4: Die Idee, sich 50 Euro bis zum 13. Geburtstag zu verdienen, und die Summe bei Erfolg zu verdoppeln finde ich dagegen ebenso genial wie realitätsnah. Genauso die Organisation eines "Camping-Wochenendes mit dem Vater" und die Übertragung der "Hauptverantwortung".
Meine Kritikpunkte sind aber insofern ohne größere Bedeutung, als der Grundtenor des Buches einfach stimmt! Hier haben Menschen einen Ratgeber geschrieben, die ihre Kinder lieben und zwar ohne jede Einschränkung! Eigentlich spielt es keinerlei Rolle, ob das nun "von oben" gesteuert wird... oder einfach vom gesunden Menschenverstand. Letztlich ist das eine Definitionsfrage, die vom eigentlichen Sinn des Buches ablenken würde...
Deshalb kann ich das Buch uneingeschränkt empfehlen und sehr gerne lasse ich die Autoren zum Schluss für sich selbst sprechen, indem ich weitere Zitate einfüge, die mich außerordentlich bewegt haben:
"Wir müssen die Fehler unserer Kinder jeden Abend aus unserem Gedächtnis löschen und den nächsten Tag mit einer bereinigten Bilanz beginnen, die keine 'Sollposten' mehr enthält."
Der wichtigste Satz befindet sich meiner Meinung nach in Kapitel 12. Unter der Überschrift "Der Weg hat ein Ziel" auf Seite 231 heißt es: "Haben sie keine Angst vor der Zukunft, und ziehen sie die junge Pflanze nicht ständig aus dem Boden, um die Wurzeln zu untersuchen."
Ich denke, wer dies verstanden hat, wird mit seinen "Kakteen" (s.o.) keine größeren Probleme mehr haben...
"Was zählt, ist die Beziehung. Heute. Morgen. Und in alle Zukunft!"
Fazit: Herzerfrischender Ratgeber und Pflichtlektüre für ambitionierte Eltern. Standing Ovations!
|