Literatur

Und dann springen wir

von Gianna Lange


190 Seiten
1. Auflage 2025
© Frankfurter Verlagsanstalt GmbH
www.fva.de
ISBN 978-3-627-00327-2



Vorhang auf für ein kleines ganz großes Theater. Die Kulisse täuscht vielleicht etwas, denn sie besteht aus einer Reise von Norddeutschland in die Herzegowina nach Mostar. Diese Weitläufigkeit kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich im Grunde "nur" um zwei Personen dreht, und wenn man es ganz genau nehmen würde, eigentlich nur um eine.

Rosa hat nicht die geringste Ahnung, wie sie den Tod ihrer Mutter verkraften und verarbeiten, geschweige denn, wie sie die nun unvermeidlichen Formalitäten erledigen soll. Bis zur Einäscherung ist noch Zeit, weshalb sie eine Reise nach Mostar unternehmen will.

Einst verbrachte ihre Mutter Elise dort glückliche Tage mit ihr. Ein Versprechen, auf welches sich der Buchtitel bezieht, und nun nicht mehr eingelöst werden kann, spielt ebenfalls eine tragende Rolle.

Gianna Lange verwebt die Geschichte in Gegenwart und Vergangenheit, die zu jeder Zeit das innige Verhältnis Rosas zu ihrer Mutter unterstreicht. Selbst nach ihrem Tod spricht Rosa gelegentlich noch in der Gegenwart von ihr, und wenn sie den Fehler erkennt, korrigiert sie ihn nicht:

"Das Präsens fiel mir hier in die zirpende Nacht, und ich hielt den Mund noch geöffnet, um es zu korrigieren. Doch für den Moment gefiel mir der Satz so einfach besser..."

Die Alkoholsucht ihrer Mutter, eine schwere Krankheit und die Flucht ihres Vaters in eine andere Beziehung belasten und beschädigen das Familiengefüge nachhaltig, bis nichts mehr ist, wie es vorher war.

Gianna Lange beschreibt Träume und Versprechen, die allzu oft an der Wirklichkeit scheitern, und gleichzeitig den Versuch, das Unmögliche irgendwie doch noch zu erreichen, wenn das einst Gesagte irgendwie noch eine Bedeutung und einen Wert haben soll.

Wie es scheint, könnte diese Geschichte in Teilmengen auch eine sehr persönliche der Autorin sein, denn wer beispielsweise Mostar so beschreiben kann wie sie, muss einmal dort gewesen sein.

"Die Stadt hatte etwas Brutales, sie war vernarbt und hatte Brüche und Risse von all den Schlägen, die sie eingesteckt hatte. Dem setzte sie trotzig ihre überwältigende Schönheit entgegen."

Verlust und Trauerbewältigung verwandelt Gianna Lange in herzerweichende Sprachbilder. Dann beispielsweise, wenn sich Vergangenheit und Gegenwart vermischen, sich die Bedeutung von Zeit verflüchtigt und nicht mehr in ihrer eigentlichen Funktion wahrgenommen wird.

"Sie lief, damit man sie irgendwann wieder aufnehmen konnte, sich wieder eingliedern konnte in ihr Ticken, um weiterzumachen, wo man sie liegen gelassen hatte."

Eine kleine Familiengeschichte stellt sie in einen großen Zusammenhang. Sie spiegelt das Leben, denn jene Verluste erleiden wir in irgendeiner Form alle, sei es nun der Tod eines geliebten Menschen, oder jene Verluste, die durch veränderte oder zerbrochene Familienstrukturen entstehen.

In "Und dann springen wir" geschieht beides. Die Vorzeichen für Rosa stehen jedenfalls denkbar schlecht, ebenso für die Bekanntschaft Emma, die als Nebendarstellerin in ähnlicher und doch ganz anderer Mission unterwegs ist.

Am keinesfalls SO erwarteten Ende ist man um viele Lebenseinblicke und -perspektiven bereichert und wenn man die ganz besondere Melodie dieses Buches verstanden hat, fühlt man tatsächlich so etwas wie Glück, diese wunderbare Geschichte gelesen zu haben.

 

Thomas Lawall - Mai 2025

 

 

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