Literatur

Trost


von Ida Hegazi Høyer


208 Seiten
© 2016 der Originalausgabe "Historier om trøst" im Tiden Norsk Forlag, Oslo
© 2019 der deutschsprachigen Ausgabe Residenz Verlag GmbH, Salzburg - Wien
www.residenzverlag.at
ISBN 978-3-7017-1707-1



Selbstständig ist sie und lebt ein absolut eigenständiges Leben. So jedenfalls sieht es aus, ist es aber nicht. Ihre Selbstsicherheit trägt sie wie eine teure, schier unbezahlbare Bluse. Sie weiß, was sie will, vor allem, was sie nicht will. Da verwundert es nicht, wenn eine vielversprechende Verabredung unvermittelt platzt, als ihr Begleiter die Unverfrorenheit besitzt, sie bei der Hand zu nehmen.

Das ist etwas, was gar nicht geht. Bisher läuft alles nach Plan. "Absichtlich und bewusst. Sie folgen bereits festgelegten Bewegungen ...". Bis hierhin und nicht weiter. Auf gar keinen Fall will sie das Gefühl haben, "geführt zu werden". Und schon geht das Karussell der Interpretationen (wieder) los. "Bedeutet, die Hand eines anderen zu halten, nicht eine Art Deklaration?"

Momente einfach genießen geht nicht. Jede Geste, jeder Gedanke und jede nur erdenkliche Möglichkeit muss umgehend hinterfragt werden und sich einer Sofortanalyse stellen. Der Abend ist gelaufen: "Alles wurde zunichte gemacht, als er ihre Hand nahm." Welch ein Glück, dass sie nur einen Liebhaber, aber "in keiner Weise nach einem Partner sucht".

Die nur schemenhaft beschriebene Hauptdarstellerin platzt alsbald in die nächste Beziehung. Wobei "Beziehung" hier kaum der richtige Ausdruck ist. Auch jener Zustand wird wieder ordentlich hinterfragt, bezweifelt und ad absurdum geführt. Sex gibt es auch. Zum Abgewöhnen. Ähnlich wie beim männlichen Vorgänger. Da ist selbst die kunstvollste Verbalisierung von geringem Nutzen.

Soll man die Verteidigung der eigenen Festungsanlagen beibehalten oder sich treiben lassen? Oder gar bei der, immer wieder gerne zitierten, Unverbindlichkeit bleiben? Schwer zu sagen, wenn man es selbst nicht weiß, in "irreversiblen Zweifeln" gefangen ist, sich mit der "statistischen Unwahrscheinlichkeit" von Bekanntschaften beschäftigt oder "Einsicht in das segmentierte Flickwerk der Kausalitäten" gewährt.

Was also ist zu tun, wenn sich die Hauptdarstellerin letztlich für keinen Menschen wirklich interessiert? Vielleicht in die nächste Beziehung stürzen? Mit einem viel jüngeren Mann vielleicht? Dies kann, dank ebenso hohen, wie diffusen Ansprüchen, kaum gelingen ...

Wie dem auch sei: Von "Trost" keine Spur. Ida Hegazi Høyer beherrscht die höhere Mathematik der Worte. Verstehen kann und muss man das nicht unbedingt, zu groß ist die Verwirrung der Gefühle und ohne die geringste Aussicht auf die Lösung der selbstauferlegten und sich immer wieder neu formierenden Gleichungen.    

Klug geschrieben, aber unerwartet leicht zu lesen, und dennoch eine Literatur, die sich inhaltlich einer Nachvollziehbarkeit vehement entgegenstemmt. Eine Art kopflastiger Schwertransport. Menschen, die mit anderen Menschen nicht können, ja einander nicht einmal richtig zuhören können.
 
So oder ähnlich sollen sich Beziehungen in "der Kälte und Einsamkeit der Großstädte" gestalten? Wohl eher nicht. Zum Glück ist jener "zeitgenössische Reigen" nur ein modernes Märchen ...

Immerhin: "Nichts ist wirklich, aber alles ist am Leben."

 

Thomas Lawall - Dezember 2019

 

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