Literatur

Teufelskreis Prostitution
Ich habe den Ausstieg geschafft


von Mandy Winters


192 Seiten
© ACABUS Verlag, Hamburg 2011
www.acabus-verlag.de
ISBN 978-3-86282-059-7



"Die blöden Weiber sind nur neidisch, gib nichts drum und mach deine Arbeit" sagt Claudia, die Puffmutter. Lena hatte einen sehr lukrativen Termin mit drei Männern, erstmals außerhalb des privaten Etablissements. Müde kehrte sie nach dreistündiger Autofahrt zum Puff zurück und hatte sich wahrlich einen anderen Empfang gewünscht. Claudia wartet schon an der Tür, kassiert ihren Anteil und warnt Lena vor dem, was sie erwartet. Die Mädchen reden über sie, und es ist nichts Gutes, was sie sagen. Eine geldgeile Schlampe wäre sie, und wie man nur einen Termin mit drei Männern annehmen könnte. Sie hatten gar gehofft, dass ihr etwas passieren würde!

Lena ist entsetzt, denn bislang lief alles nach ihren Vorstellungen. Der Traum vom schnellen Geld erfüllte sich und sie war mehr als überrascht davon, wie leicht man die "wandelnden Geldautomaten" ausnehmen konnte und wie wenig man dafür im Gegenzug tun musste. Der erste Freier war eine Art Offenbarung. So war das also. Im Grunde so leicht wie Brötchen zu verkaufen. Der Mann war sehr nett, höflich und gepflegt, und er wurde ihr erster Stammkunde. Benebelt und gleichzeitig beflügelt vom Erfolg beim ersten Kunden schmiedete sie große Pläne ...

Jetzt war sie Lena und ihr gefiel dieses "Rollenspiel". Sie konnte sich mit ihrer neuen Rolle identifizieren - es würde ja sowieso niemand davon erfahren. Ihr Selbstbewusstsein stieg in unbekannte Höhen, und ihren Körper liebte sie nun noch mehr als vorher. In der Überzeugung, somit die perfekte Liebhaberin zu sein, nahm sie sich vor, ihre Liebhaber fortan "mit Stil" zu verwöhnen. Schließlich bezahlt er für die Ware Sex, was er aber bei ihr möglichst vergessen soll. Euphorisch stattete sich sich mit Strapsen und High Heels aus, was auch ihre Chefin Maria begeistern konnte. Von allen anerkannt und bewundert schien ihr nun die ganze Welt offenzustehen. Maria konnte sich sogar vorstellen, eine Edelnutte aus ihr zu machen. Mit den ihr bekannten Verbindungen würde man sich dann finanziell im fünfstelligen Bereich bewegen!

Damals kam sie mit Claudia, Maria und den Kolleginnen hervorragend aus. Sie stolperte in dieses Nest der Glückseeligkeit und Geborgenheit, wurde anerkannt. Pech und schlechte Erfahrungen, wie im richtigen Leben, schien es hier nicht zu geben. Ein gewaltiger Irrtum, wie sich herausstellen sollte. Am Rand der Gesellschaft gab und gibt es gewaltige Untiefen, deren Ausmaß sie damals noch nicht ermessen konnte ...

Heute ist wieder so ein Tag. Lena kann sich vor Terminen nicht retten. Sie ist voll ausgebucht und hat, den Einnahmen entsprechend, ihren Lebensstandard gewaltig angehoben. Neben den regulären Terminen im Puff hat sie immer Kunden, die sie für länger oder für eine Nacht privat engagieren. Hier bewegen sich die Honorare dann in vierstelligen Dimensionen. 1000 Euro hat sie für die Nacht bei Max eingenommen. Inzwischen verwandelte sich die Anerkennung ihrer Kolleginnen aber endgültig in Neid. Die Hölle bricht los und Lena kommt zu der Überzeugung, dass Frauen grausam sein können. "Wenn sie anfangen dich zu hassen, bist du tot." Im nächsten Leben will sie "Frauenhasser" werden ...

Mit schonungsloser Offenheit schildert uns Mandy Winter, die als Prostituierte unter dem Namen Lena arbeitete, das Leben hinter den Kulissen des wohlsortierten bürgerlichen Lebens. Gerne wird ja immer wieder, wie auch oben zitiert, vom "Rand der Gesellschaft" gesprochen. All die "Lenas" oder wie sie sich auch immer nennen mögen, bewegen sich aber weniger am Rande, sondern mitten in unserer Gesellschaft! So hat Lena dann gleich auch eine ganze Menge Tipps auf Lager, was die gemeine Ehefrau alles besser machen könnte, damit sich hier etwas ändert.

Zuerst käme die unbedingte Erkenntnis, einen "Jäger und Sammler" niemals ändern zu können. Der Trieb, "sich weiter fortpflanzen zu müssen", stünde über allem und die Männer würden ihre Frauen trotzdem über alles lieben. Frauen würden daran niemals etwas ändern können. Wenn er sich also, wie auch immer, mit einer anderen Frau einlässt, wäre es "kein Betrug des Herzens, sondern eine Gabe der Natur des Mannes". Den reinen körperlichen Kontakt mit einer Hure soll man also nicht mit Liebe verwechseln. Als Frau sollte man sich also damit abfinden, dass der Mann sozusagen hin und wieder fremdgehen muss. Immer noch besser, als monate- oder gar lahrelang mit einer Geliebten betrogen zu werden. Männer, die in den Puff gehen, würden übrigens gerne auf eine (Dauer-)Geliebte verzichten.

Auch sollte sich die eine oder andere Frau einmal überlegen, ob sie gewisse Praktiken, die sie ihrem Mann in den eigenen vier Wänden verwehrt, nicht doch wieder ins Repertoir aufnehmen sollte. Wenn schon das Sprechen darüber mehr oder weniger verboten sei, müsse man sich ja im Prinzip nicht wundern. Schließlich wäre der Mann geradezu gezwungen, sich nach außen zu orientieren, wenn er seinen Trieb nicht zu Hause ausleben dürfte!

Nun ja, das wird nicht jedem gefallen und die klare Sprache von Mandy Winters schon gar nicht. Die Fakten sind im Prinzip hinlänglich bekannt, aber wer will schon das gesamte zur Verfügung stehende Konfliktpotential auf den Tisch legen? Lieber legt die (vermeintlich) nichtsahnende Ehefau weiterhin ihren Hefezopf auf den Tisch, während ihr Mann dies mit einer Nutte im dafür vorgesehenen Territorium praktiziert. Doch so einfach ist es natürlich nicht - pauschale Rezepte gegen oder für den Konsens in Sachen unterschiedlicher körperlicher Notwendigkeiten gibt es nicht, weshalb es auch auf Dauer keine Lösung der altbekannten Problematik zu geben scheint. Den weitläufigen Randgebieten der Gesellschaft droht also sicherlich keinerlei Gefahr ...

... zumal meinen Stammesgenossen Praktiken in den Sinn kommen, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Meiner bescheidenen Meinung nach wäre in dem einen oder anderen Fall statt einem Besuch im Bordell eher ein Arztbesuch angesagt! So kommt es Lena auch mitunter vor, eher in einer Klapsmühle zu arbeiten, als in einem Puff!

Das Buch könnte aber immerhin ein Mosaiksteinchen auf dem weiten Weg zum Hauch des Ansatzes einer Problemlösungsstrategie sein, die ferne Generationen in anderen Epochen dereinst entwickeln werden. Doch in "Teufelskreis Prostitution" liegt ja der Schwerpunkt auf Ausstieg aus dem Milieu. Treffen die einen ein Schicksalsschlag nach dem anderen, scheint es auch andersherum zu gehen, wobei der Ausstieg alles andere als leicht ist, denn Hure Lena trifft gleich auf eine ganze Reihe von völlig unerwarteten Hürden ...!

Gut zu wissen und zu lesen, dass es immer wieder Menschen gibt, die keinerlei Vorbehalte haben, einmal ordentlich das Maul aufzureißen. Es muss ja nicht immer alles gut und richtig sein, was da an Lebensweisheiten angeboten wird. Patentrezepte gibt es sowieso keine und jeder muss schließlich seinen eigenen Weg finden. Und nichts anderes hat Mandy Winters getan. Mutig mutig, kann ich da nur sagen, und ich bin dankbar dafür, einen Einblick (wenn auch dieser sicher nur die Spitze des Eisbergs darstellt) ins Millieu erhalten zu haben. Mich würde nun direkt einmal interessieren, ob es sich hier um einen Einzelfall handelt, oder ob es noch mehr von den ganz Mutigen gibt, die dem System im System nicht nur auf ihre Art und Weise entkommen wollen, sondern dies ebenso schaffen und geschafft haben.

Meine Hoffnung bewegt sich allerdings auf einem niedrigen Level, denn ein nicht unbeträchtlicher "Bedarf" muss ja täglich erfüllt werden. Was jedoch bleibt, ist mein Respekt vor einer starken Frau ... und einem mutigen Verlag!

 

Thomas Lawall - Dezember 2011

 

Ausnahmsweise mal ein Nachwort: Dieses Buch hat eins. Eigentlich mehrere ... und eins ist bewegender als das andere!

 

 

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