Teich
von Claire-Louise Bennett
218 Seiten © Claire-Louise Bennett © der deutschsprachigen Ausgabe 2018 Luchterhand Literaturverlag www.luchterhand-literaturverlag.de ISBN 978-3-630-87556-9
Irische Westküste. In einem Cottage lebt eine junge Frau. Claire-Louise Bennett beobachtet sie und schreibt alles auf. "Alles" im wahrsten Sinne des Wortes. Sie sieht durch die Augen ihrer Protagonistin, sieht und fühlt die Welt, wie sie es vielleicht auch selbst tut.
Es ist so, als ob die junge Frau jeden Moment ihrer Existenz bewusst wahrnimmt. Das eröffnet eine Menge Möglichkeiten. Die Momente, die sie sammelt, werden somit an der Flucht gehindert. Gerne bleiben sie, wie zur Belohnung, noch eine Weile bei ihr. Wie jene, welche in dem verwilderten Garten an ihrem Haus entstehen. Blumenpracht und stolze Bäume, bewohnt von Lebewesen ohne Zahl. "Alle hatten so viel zu tun."
Sie betrachtet die Dinge, wie andere es nicht sehen können oder auch gar nicht wollen. Zwangsweise kommt es nicht selten vor, dass man sich ihr gegenüber Hinweise erlaubt, sich doch "ein wenig mehr Zurückhaltung aufzuerlegen". Sie gibt es ja zu, wenn sie sich die Fähigkeit wünscht, "nicht alles Gesagte sofort auf die Goldwaage zu legen". Sie schafft es aber nicht, weil sie es nicht kann. Es gibt sie nicht, die "mannsgroßen Filter", die sie beispielsweise von ihrem "kritischen Desinteresse", was Männer betrifft, abhalten.
Die Autorin zeichnet ein Versteckspiel der Worte und deren Bedeutung. Profane Dinge, wie alle möglichen Hausarbeiten bis hin zum Fegen des Bodens, werden bis ins Detail ausgeführt. Die Gründe für jene Handlungen werden vordergründig geschildert, und doch sind sie zumeist aus bestimmten, tiefer liegenden Beweggründen entstanden oder versuchen solche abzudecken und zu kaschieren. Es kann so sein, aber auch anders. Ambivalenz hinter jeder Ecke.
Das ist in etwa so, wie Claire-Louise Bennett ebenso ständige wie auffallende Wiederholungen einsetzt, wobei, neben "genau" oder "streng genommen", "ehrlich gesagt" eine führende Rolle spielt. Das kann - ehrlich gesagt - ganz schön auf den Zeiger gehen. Fünfzig mal. Ein Stilmittel sicherlich, die Ursache und Wirkung schön durcheinanderbringen können. Paradox: Oft kann man ihr nicht folgen, jedoch ablassen ebenfalls nicht.
Wie in literarischen Verwirrspielen fast üblich, verstecken sich bedeutungsschwangere Deutungen der Welt und ihrer Funktionen im endlosen Gestrüpp, wuchernde, als Banalitäten getarnte Hinweise, Wegtafeln und Einsichten, und sie tun es in diesem Fall sehr gründlich. Man könnte auch unterstellen, dass jene Frau ein traumatisierendes Erlebnis zu verarbeiten sucht oder schlicht und einfach krank ist. Oder sie sitzt einfach da und denkt nach. Eine eigentliche Handlung erübrigt sich hierbei. Herrlich, wie man dies drehen und wenden kann.
Erstaunlich die Gedankenwelten. Wer keine Lust mehr am Leben findet, hat "die Magie des Todes verspielt". Unverzeihlich ist es, einen Hund namens Luchs für eine Katze gehalten zu haben. Abhandlungen über Füller, einen alten Küchenherd und seine Bedienung, den "elenden Prozess des Suppe-Essens", oder einen Tumult, wo man "Schicksale verrührt und die Sterblichkeit beschmutzt."
Vielleicht sucht die Autorin auch nach Worten, die es noch gar nicht gibt. "Genau genommen" (auch gerne wiederholt) schreibt sie gar nicht in ihrer Muttersprache. Welche die ist, gilt es aber noch herauszufinden. Somit wäre die Ausführung von "Teich" als eine Art Behelf anzusehen. Sie räumt aber ein, dass es möglicherweise bei diesem "Provisorium" bleiben wird, da sie befürchtet, dass sich ihre Muttersprache womöglich gar nicht sprechen, geschweige denn aufschreiben lässt. Doch es könnte ja sein, dass sie irgendwo "leise Gestalt annimmt".
Es wird also, je nach Sichtweise und Standpunkt der Leser, sehr spannend oder noch langweiliger werden, Claire-Louise Bennett weiterhin zu begleiten, denn "Teich" kann das letzte Wort nicht bleiben. In welcher Angelegenheit auch immer. Oder - ehrlich gesagt - auch keiner. Egal. Hauptsache der gewaltige Interpretationsspielraum bleibt bestehen. Wer es mag. Schließlich geht es doch stets um ein "imaginäres Anderswo".
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