Literatur

Tage der Toten

von Don Winslow


689 Seiten
Deutsche Erstausgabe
© der deutschen Ausgabe
Suhrcamp Verlag Berlin 2010
www.suhrkamp.de
ISBN: 978-3-518-46200-3



Die besonderen Spielregeln in diesem Boxkampf sind klar. Art Keller weiß diese einmalige Gelegenheit zu nutzen. Der Champ ist jung, aber er weiß, was er will. Gerade hat er seinen Sparring-Partner k.o. geschlagen und nun scheint ihm keiner mehr Paroli bieten zu wollen. Bis auf Keller. Er nutzt seine Chance und sucht den Augenkontakt. Nach einem kurzen aber heftigen Wortwechsel steht der "Yankee-Bulle" im Ring, nichtsahnend, dass Jungchampion Cesar kein Kind mehr ist.

Sein Tempo kann Art nicht mitgehen, schafft es aber dennoch, sich Respekt herauszuboxen. Doch er will es nicht übertreiben und den Stolz des Gegners verletzen. Etwas hindert ihn daran, es zu wagen, diesen Kampf zu gewinnen. Nach einer Pause ist der leicht angeschlagene Cesar wie ausgewechselt. Art hat keine Chance mehr, worauf sein Gegner seine Wut verliert. Nach dem Schlussgong umarmen sich die Männer und das Publikum tobt.

Die beiden Brüder, die sich um das junge Talent kümmern, stellen sich Art nun offiziell vor. Der eine ist Raúl und der andere Adán Barrera. Man verabredet sich auf ein Bier und versteht sich bestens. "Drogenbulle" Art und Schmuggler Adán sind auf einer Wellenlänge und es scheint sich eine Freundschaft anzubahnen - für Art die erste in seinem Leben. Viele Jahre später hätte er alles darum geben, Adán sofort zu erschießen ...

Viele Jahre sind seither vergangen. 1975 lernten sich die beiden Männer kennen. 22 Jahre später bietet sich Art Keller, inzwischen 47 Jahre alt, ein Bild des Grauens. Neunzehn weitere Opfer hat der Drogenkrieg in Mexico gefordert. Leichen gehören zum normalen Alltag in diesem Krieg und Drogenfahnder Art hat wahrlich genug davon gesehen. Seit dem Zerbrechen der Freundschaft mit Adán Barrera ist so etwas wie Gewöhnung entstanden, doch nicht, wenn es sich um Frauen, Kinder und sogar Babys handelt. An einer Mauer aufgestellt wurden sie mit Kalaschnikows getötet, was eindeutig die Handschrift der mexikanischen Drogenmafia trägt ...

Der Roman kommt in wahrhaft gewaltigen Dimensionen und die knapp 700 Seiten wirken erst einmal abschreckend. Den zu bewältigenden Umfang vergisst man aber bereits auf der ersten Seite, obwohl diese eine fast ebenso abschreckende Wirkung besitzt. Dennoch möchte man natürlich erfahren, was es mit dieser erschütternden Rückblende auf sich hat und wie es zu jenen Ereignissen gekommen sein mag.

Auch wenn sich die Handlung mitunter in diversen Nebenrollen und -darstellern zu verlieren scheint, politische Zusammenhänge und religiöse Hintergründe nicht auslässt, und sich zudem auf mehrere Jahrzehnte ersteckt, ist es doch in der Hauptsache die Geschichte des Drogenfahnders Art Keller und seiner vermeintlichen Freundschaft zu dem ehemaligen Schmuggler und späteren Drogenbaron Adán Barrera, sowie der einen oder anderen fatalen Intervention Kellers und deren teilweise verheerenden Folgen.

Insbesondere die politischen Machenschaften weisen "Tage der Toten" nicht nur als ebenso harten wie brutalen Thriller aus, sondern als ein Dokument des Zusammenspiels von geldgierigen und machtbesessenen Menschen, die in einer komplizierten, aber dennoch funktionierenden und sehr anpassungsfähigen Hierarchie diabolische Strukturen aufgebaut haben. Don Winslow verwendet für seine penibel recherchierten Hintergründe, die von den USA bis in den Vatikan reichen, sehr viel mehr Zeit und Raum als für die Charakterisierung seiner Hauptfiguren. Stets steht ein gewisser Aktionismus im Vordergrund. Man erreicht das Innere der Personen nicht wirklich und begreift sie, wenn überhaupt, nur über das, was sie tun.

Ein Fazit für dieses monströse Werk ist nicht leicht zu finden. Vielleicht ist es auch gar nicht nötig. Man fragt sich nur manchmal, ob das alles nur ein böser Traum sein mag, verdrängt dabei aber sofort wieder die Realitäten in vielen Regionen Südamerikas. Für uns und aus der Ferne gesehen ein Paradies, aber für nicht wenige die Hölle und schlimmer. Wenn nur ein Bruchteil des Buches der Wahrheit entspricht, wäre schon das unerträglich.

 

Thomas Lawall - April 2013

 

 

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