Literatur

Stromlinien - Ein Logbuch

von Hubert von Goisern


280 Seiten
© 2010 Residenz Verlag, St. Pölten - Salzburg
www.residenzverlag.at
ISBN 978-3-7017-3186-2



Einst war das Schiff wüst und leer, "eine leere Eisenwanne von 800 Quadratmetern Grundfläche", doch langsam füllte es sich mit Leben, Menschen und Gerätschaften aller Art. Am Anfang war die Idee. Wie immer. Nicht jeder Idee ist und war es vergönnt, realisiert zu werden. Ganze Universen von Ideen starben bereits, bevor sie zu Ende gedacht wurden. Vielleicht waren die Gedankenblitze zu abenteuerlich, zu unkonventionell, zu neu oder einfach zu unmöglich. Vielleicht fehlte den Schöpfern auch einfach nur die Motivation und die Kraft, das Neue zu wagen, zu planen, immer wieder zu durchdenken, um einer vagen Vorstellung Leben einzuhauchen. Eine völlig "unmögliche" Idee entwickelte Hubert von Goisern, indem er sich der Vision einer großen Reise ergab. Eine Konzertreise mit einem Schiff sollte es sein, die Begegnungen schafft und Menschen verschiedener Nationen zusammenbringt und verbindet. Und sie war hartnäckig, die Idee. Dennoch sollte es zehn Jahre dauern, bis sie, 1997 am Tanganjikasee erstmals erdacht, in die Tat umgesetzt werden sollte.

Der erste Tag an Bord war ernüchternd und begann im Chaos. Zwei Tage vor der Abfahrt, am 18. Juni 2007, war so gut wie nichts fertig. Und es waren keine Kleinigkeiten, denn es ging um das Herzstück der Reise. Die Bühne war nicht betriebsbereit und bereits vier Tage später sollte das erste Konzert stattfinden! Die erste Probe der Band wurde somit kurzerhand auf das Dach des Wohnschiffes verlegt. Aus der Not eine Tugend machen und vor allem die Nerven bewahren, war die Devise. Und schließlich war da noch die Vorfreude, die bekanntlich einiges aufwiegen kann. Am 20. Juni 2007 war es dann endlich soweit. Die Linz Europa Tour startete. Tausende von Kilometern lagen vor allen Beteiligten. Trotz dem erhebenden Gefühl, einen Traum nun zu realisieren, ihn begehbar zu machen und ihn tatsächlich leben zu dürfen, blieb Hubert von Goisern bei der Abfahrt nicht von Zweifeln verschont. Es sollten weder die ersten noch die letzten sein ...

Schließlich gestalteten sich schon die Vorarbeiten zu einem außerordentlich schwierigen Unternehmen. Die Bühnenkonstruktion verlangte ein hydraulisches Hebesystem, um die unterschiedlichen Gegebenheiten am jeweiligen Anlegeplatz sowie wechselnde Pegelstände ausgleichen zu können. An Brückendurchfahrten musste ebenfalls gedacht werden und an die Sichtverhätnisse für den Kapitän, der vom angedockten Schubschiff aus natürlich irgendwie sehen musste, wohin er steuert. Letztendlich musste auch schlechtes Wetter einkalkuliert werden, denn die riesige Dachkonstruktion, welche stürmischen Winden (mehr als nur einmal) eine großzügige Angriffsfläche bot, musste im Ernstfall schnell heruntergefahren werden (was nicht immer gelingen sollte!).
In fünf bis sechs Wochen sollte die Barge umgebaut sein, was viel zu knapp bemessen war. Der erste Test verlief katastrophal, da ein Teil der Konstruktion abknickte. Die Statik war falsch berechnet. Schließlich stellte sich heraus, dass die Hydraulik für Bühne und Dach nicht leistungsfähig genug war und später, fast zu spät, ergab sich auch noch die Tatsache, dass die "Wallsee", das Schubschiff, zu schwach war ...
Heilbronn, 19.07.2008 - © Maria Lawall - www.querblatt.com
Soundtechnisch ergaben sich ebenfalls völlig neue Perspektiven. Zuerst einmal musste eine neue Band gefunden werden, da Hubert nach der Trad-Tour und dem Konzert beim "Festival au Desert" in Timbuktu die Formation auflöste. Buchstäblich am Ende der Welt angekommen, hatte er (wiedermal) keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Zwei Jahre sollte es dauern, bis die neue Formation stand und im Januar 2007 erstmals gemeinsam probte. "Druckvoll, lebendig, lustvoll und laut" sollte sie sein. "Laut" vor allen Dingen deswegen, weil im Freien größere Distanzen zum Publikum bewältigt werden müssen. Nachdem die Bandmitglieder ihren "Pakt" für die nächsten drei Jahre geschlossen hatten, mussten die technischen Voraussetzungen geschaffen werden. Da man mit den auf dem Markt befindlichen Gerätschaften nicht zufrieden war, wurde vom Tontechniker eigens für diese Tour eine Anlage entwickelt und gebaut! Der Monitorsound für die Musiker sei "geil" gewesen, was keineswegs selbstverständlich ist, denn immer wieder kommt es bei diversen Hallenkonzerten anderer Musiker zu unschönen Szenen, wenn sich die einzelnen Bandmitglieder auf der Bühne selbst und untereinander nicht hören können. Dass dies ausgerechnet auf einer schwimmenden Konzertbühne reibungslos funktioniert hat, dürfte eine Sensation sein. Wie es für die Zuschauer geklungen hat, hätte Hubert von Goisern nie gehört. Leider, muss ich sagen, denn hier können der Rezensent und seine Frau ein kleines Wörtchen mitreden. Bei einem Konzert waren wir Zaungäste und zwei erlebten wir in der ersten Reihe. Ich selbst wechselte auch jeweils nach hinten, um die Unterschiede in der Klangqualität zu testen. Es gab keine. Vorne wie hinten konnte man die Musik in Studioqualtät erleben! Das war die nächste Sensation, und mit den großartigen Leistungen, welche die verantwortlichen Herrschaften in Sachen Licht und "Visuals" abgeliefert haben, will ich gar nicht erst anfangen ...
Hirschhorn, 20.07.2008 - © Maria Lawall - www.querblatt.com
Hirschhorn, 20.07.2008 - © Maria Lawall - www.querblatt.com
Wir erfahren auch, dass sich die Zusammenarbeit mit einer Reederei nicht unbedingt als sehr einfach herausstellen kann, da sich hier ungeahnte Interessenkonflikte ergeben können. Einen nicht zu unterschätzenden Kraftakt können auch die zu tätigenden zahlreichen Behördengänge sein, die schon im Vorfeld mächtig Staub aufgewirbelt hatten. Die gesamte Logistik erscheint mir wie ein unbezwingbares Gebirge, zumal uns Hubert von Goisern in seinen Aufzeichnungen auch in die weitere Vergangenheit mitnimmt und Einblick gewährt. Schließlich galt es, zahlreiche Kontakte zu (Hafen-)Behörden in allen zu durchfahrenden Ländern zu knüpfen. 2006 unternahm Hubert von Goisern zwei Reisen bis zum Schwarzen Meer. Rechtliche Dinge und Vorschriften waren zu klären, die genaue Route auszuloten, die Anlegestellen zu inspizieren, verantwortliche Politiker zu kontaktieren und sie von dem Projekt in Kenntnis zu setzen und sie dafür zu gewinnen. Da unterwegs diverse Bands aus verschiedenen Ländern mit an Bord gehen sollten, war auch noch ein ausführliches Studium der jeweils passenden Formationen notwendig. Was allein bei den Vorbereitungen alles schiefging und sich an Katastrophen dem Initiator in den Weg stellte, nötigt mir schon für die Zeit vor dem Beginn der Tour grenzenlose Bewunderung und Respekt ab.
Schweinfurt, 22.08.2008 - © Maria Lawall - www.querblatt.com
Dass Hubert von Goisern irgendwann ein Buch schreiben würde, war klar. Er lebte zeitweise in Südafrika, Kanada und den Philippinen, begann nach den Erfolgen und dem Ende der "Alpinkatzen" (1995) mit Film- bzw. Filmmusikprojekten, reiste 1996 nach Tansania, wo er die Verhaltensforscherin Jane Goodall traf, bereiste 1997 sechs Wochen lang Tibet, traf den 14. Dalai Lama, gab nach der Fön-Tour vier Jahre später Konzerte in Ägypten und westafrikanischen Ländern, spielte 2003 in Sarajevo und Kap Verde sowie 2005 in Mali beim "Festival au Desert". 2007-2009 verwirklichte er die Linz Europa Tour, indem er mit einem umgebauten Frachtschiff, einem Schub- und Wohnschiff die Donau bis zum Schwarzen Meer bereiste. Eine zweite Reise führte ihn über den Main-Donau-Kanal auf den Rhein und bis nach Rotterdam. Diese und viele andere Lebensstationen waren schon ereignisreich genug und man möchte als Außenstehender sehr gerne mehr über den Menschen, der so etwas zu bewegen vermag, erfahren. Unendlich viel zu schreiben und zu berichten gäbe es, aber damit, dass es ausgerechnet ein "Logbuch" sein würde, konnte niemand rechnen. Doch wer den Werdegang des Weltmusikers verfolgt hat, weiß, dass es in seinem Leben immer wieder einen Abbruch und einen Neubeginn gab. Nichts ist und bleibt ewig. Und für Überraschungen war Hubert von Goisern ja schon immer gut.

Somit bildet "Stromlinien" ein einzigartiges Dokument einer ebenso einzigartigen Reise. Die tagebuchartigen Einträge erheben sicherlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Dafür wäre auch gar keine Zeit gewesen. Auch wenn vieles hier und da fehlen möge, sind die nicht formulierten Puzzleteile eine gute Gelegenheit für den aufmerksamen Leser, den eigenen Gedanken freien Lauf zu lassen und zu versuchen, ein kleines Stück mitzufahren. Das ist kein Problem, denn der Autor weiß nicht nur von Fakten oder dem Glück des Augenblicks zu berichten, sondern auch von ambivalenten Momenten. Damit gewährt er uns Zutritt in die Randgebiete von Bereichen, die eigentlich nur ihm gehören, und ermöglicht uns dadurch, einen winzigen Moment die Dinge mit seinen Augen zu sehen.
Manchmal wirkte das Projekt "größer, toller, teurer, schwieriger, chaotischer, wunderbarer und herrlicher", als er es sich je erträumt hätte, und er gibt zu, sich das niemals so vorgestellt zu haben. Einerseits wäre vielleicht weniger mehr gewesen und doch ist es gut so, wie es ist. "Es ist das Möglichste vom Möglichen."

Manchmal saß Hubert von Goisern mit seiner Angel am Heck. In der Hoffnung, dass nichts anbeißt! Er wollte gar keinen Fisch fangen, ihn töten, sondern einfach nur da sitzen und nichts tun, wobei die Angelschnur eine geheime Verbindung ist, "zu einer anderen, unsichtbaren, unergründlichen Welt" ...

 

© Thomas Lawall - Februar 2011 - www.querblatt.com

Bildergalerien:

Hirschhorn, 20.07.2008

Schweinfurt, 22.08.2008

sowie

Mohács/Ungarn, 21.08.2007
(© Maria Uz, Pecs/Ungarn)

 

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