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Die Bibliothek des Schicksals


von Chris M. Wagner


292 Seiten
© ACABUS Verlag, Hamburg 2011
www.acabus-verlag.de
www.chrismwagner.de
ISBN 978-3-86282-015-3



Daniel Lang ist überrascht. Alles an der FaTec GmbH hatte er sich anders vorgestellt. Dass er seinen ersten Vorstellungstermin verpasst hatte, scheint man dort nicht nur zu tolerieren, sondern man ließ ihm auch noch eine freundliche E-Mail zukommen, in welcher man sogar Verständnis für den triftigen Grund äußerte, der ihn zweifellos davon abgehalten hatte, die Verabredung einzuhalten. Auch die Räumlichkeiten der Firma hatte er sich völlig anders vorgestellt. Eine behelfsmäßig eingerichtete Garage oder ein paar dunkle Kellerräume hätten ihn weniger überrascht als der gigantische Palast, den er nun vorfindet.

Die seltsamen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit scheinen sich nun auch hier fortzusetzen. Von einer Empfangsdame überfreundlich empfangen und in einen Besprechungsraum geführt, findet er völlig unerwartet persönliche Daten auf dem Touchscreen eines Rednerpultes. Nachdem er den Bildschirmschoner beiseite geschoben hat, erscheint ein Foto von ihm. Neben einigen Angaben zu seiner Person ist in einer fettgedruckten Schrift von seinen "Vorkenntnissen in der Programmierung mikroelektronischer neuronaler Netze" zu lesen. Daniel findet zunächst keine Erklärung, woher die Firma dieses Wissen bezogen haben könnte ...

Die nächste Überraschung ist der Mann, der plötzlich vor ihm steht. Ganz in Schwarz gekleidet vermittelt er zunächst das Bild eines katholischen Geistlichen. Das ebenfalls in Schwarz gehaltene Kollar scheint Daniel jedoch auf sehr subtile Art und Weise etwas Beunruhigendes zu signalisieren. Die Worte, die der vermeintliche Personalchef an ihn richtet, verstärken seine Eindrücke, die sich nun in Angst verwandeln. Der schwarze Mann erzählt ihm etwas von Schicksal, Ursache und Wirkung. Er solle darauf vertrauen, dass auch nur das kleinste Ereignis sowohl einen Ursprung, als auch ganz bestimmte Auswirkungen auf sein Leben habe.

Daniel schmiedet bereits Fluchtgedanken, als ihn eine weitere Überraschung fast zu Tode erschreckt. Ein weiterer Mitarbeiter der Firma FaTec betritt den Raum und begrüßt ihn mit überaus freundlichen Worten. Sofort ist die priesterähnliche Gestalt verschwunden ...

Daniel versteht die Welt nicht mehr. Sein Leben nimmt einen völlig unerwarteten Lauf. Die Welt, wie er sie kannte, ist aus den Fugen geraten. Nach dem Tod seiner Verlobten möchte er durch seinen Umzug nach München ein neues Leben beginnen. Rosemarie von Wards wurde in einem lebensbedrohlichen Zustand ins Krankenhaus eingeliefert, aber offenbar nur ungenügend überwacht. Eine Infusion löste sich und sie starb, ohne das Bewusstsein wieder erlangt zu haben. Ein Besuch im Krankenhaus wurde ihm verweigert, und er ahnte nicht, in welchen Zusammenhang dies die Familie der Verstorbenen stellen würde.

Richard von Wards bezichtigt Daniel des Mordes an seiner Schwester Rosemarie. Tatsächlich gelingt es ihm, ihn in seiner neuen Wohnung in München ausfindig zu machen. Als er ihn zur Rede stellen will, eskaliert die Situation. Richard zieht eine Waffe, um den vermeintlichen Mörder zu richten ... doch etwas Unerwartetes geschieht, und Daniel gelingt die Flucht, zusammen mit seiner durchgeknallten Nachbarin Grace.

Da war auch noch jener mysteriöse Unfall, der den Vorstellungstermin bei FaTec verhinderte. Sein Taxi wurde gerammt und überschlug sich. Er und der Taxifahrer überlebten, doch was dem armen Antonio Betani noch wiederfahren sollte, konnte sich Daniel selbst in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen ...

Chris M. Wagner überrascht mit einer klar strukturierten Sprache, aber auch mit einer verschachtelten Handlung. Doch darauf setzt er alles. Seine bildhaft entwickelten Szenen erinnern an rasante Kinounterhaltung - schnell geschnitten und auf den Punkt gebracht. Fast könnte man ein wenig den Atem verlieren, um der sich explosionsartig entwickelnden Stroy zu folgen. Da sich beim Lesen aber keinerlei Ermüdungserscheinungen einstellen wollen, verliert man einerseits zu keiner Zeit den roten Faden, ist aber andererseits gezwungen, ständig am Ball zu bleiben.

Die verschiedenen Handlungsstränge bleiben stets in einem Gesamtzusammenhang, auch wenn dieser zu Beginn natürlich im Dunkeln bleibt. Die eine oder andere Ahnung streut der Autor allerdings ein, aber gerade nur so viel, um den Spannungsbogen nicht abreißen zu lassen. Als sich die Vermutungen um die Machenschaften der FaTec GmbH konkretisieren und Daniel Lang zu ernsten Konsequenzen zwingen, ist man als Leser zwar in atemlose Spannung versetzt, sieht sich aber dem vermeintlichen Höhepunkt etwas zu früh ausgesetzt. Doch Chris Wagner setzt noch einen drauf. Daniel Lang hat eine Idee, die ungeahnte Folgen haben könnte ...

Sind die Dinge vorbestimmt? Kann man sie steuern und manipulieren? Und wer ist jener geheimnisvolle schwarze Mann? Oder gibt es gar mehrere? Der Autor führt auf kunstvolle Weise die Lebensgeschichten seiner Protagonisten zusammen. Gemeinsam begeben sie sich auf eine abenteuerliche Suche nach dem gemeinsamen Nenner. Es muss einen Schnittpunkt in der Vergangeheit geben. Etwas muss passiert sein, das sie alle in irgendeiner Weise beeinflusst und schließlich zusammengeführt hat.

Chris M. Wagner entwirft ein beunruhigendes Szenario und streift mit seinen Visionen die hinlänglich bekannten und bereits real existierenden Eingriffe in unsere privaten Sphären durch sogenannte "soziale" Netzwerke. Ein Mysterythriller mit Tiefgang. Seine phantastischen Vorstellungen geben mehr als einmal Anlass, gewisse Dinge und Realitäten zu überdenken. Auch die eine oder andere Bibliothek betritt man nach der Lektüre von "Social Network - Die Bibliothek des Schicksals" mit durchaus ambivalenten Gefühlen. Gut möglich, das man hinter dem einen oder anderen Regal gerade noch eine dunkle Gestalt verschwinden sieht ...

 

Thomas Lawall - Oktober 2012

 

 

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