Literatur

So bitterkalt

von Johan Theorin


480 Seiten
© Johan Theorin, 2011
© Piper Verlag GmbH, München 2012
www.piper.de
ISBN 978-3-492-05551-2



So hatte es angefangen. Es war lediglich eine Idee - von einem fertigen Plan konnte noch keine Rede sein. Ein Kind in den Wald zu locken wäre zumindest mal etwas anderes. Warum es ausgerechnet der kleine William Halevi sein musste, wusste Jan nicht so genau. Was er für ein draufgängerischer Junge war, erinnert er sich. Am Klettergerüst zeigte er stets den größten Mut. Immer hoch hinaus und jeden Wettlauf gewonnen.

Den Bunker fand er einst auf dem Weg zur Arbeit. Rein zufällig. Abseits aller Wege, wo er Tannenwald und Steinklippen oft ziellos erkundete. Kaum zu entdecken, da er wie ein natürlicher Erdhügel wirkte und von Reisig und Laub bedeckt war. Zwanzig Zentimeter dicke Wände machten das Versteck sicher und die rostige Metalltür würde, mit einem entsprechenden Schloss versehen, gute Dienste leisten. Einige Kilometer von der Tagesstätte Luchs entfernt, würde das Versteck niemand so leicht finden. Doch das ist lange her ...

Jahre später bewirbt sich Jan in der Forensischen Psychiatrischen Bezirksklinik Sankt Patricia in Valla. Bei der Anfahrt zur persönlichen Vorstellung fällt ihm bereits der festungsähnliche Charakter der Einrichtung auf. Betonmauern, mit meterhohen Stromgittern, ausgestattet mit unzähligen roten Leuchtdioden. Ein Ausbrechen scheint unmöglich zu sein ...
Innerhalb des Mauerrings befinden sich zahlreiche Überwachungskameras und Jan befällt schon vor dem Betreten des Haupthauses ein seltsames Unwohlsein. Doch er muss sich zusammenreißen, seine innere Ruhe finden, denn er hat ja ein Ziel, das er nicht aus den Augen verlieren darf. Oberarzt Doktor Högsmed empfängt ihn zu einem durchaus kritischen Bewerbungsgespräch. Dennoch wird er ihn einstellen, ohne zu ahnen, welche Komplikationen auf seine Klinik zukommen werden ...

Ich kann mich gar nicht erinnern, je einen Roman gelesen zu haben, der so unglaublich lange gebraucht hat, um auf den Punkt zu kommen. Wenn man es genau nimmt, passiert auf den ersten 400 Seiten wenig, jedenfalls weniger, als Titel und Klappentext vermuten lassen. Das, was passiert, ist allerdings so raffiniert dosiert, wie ich es selten gelesen habe. Stets verspürt der Leser nur den Hauch einer Ahnung, dass sich hier größeres Unheil zusammenbrauen könnte. Und immer wenn man denkt, jetzt kommt der Roman in Fahrt, hat man sich geirrt.

Johan Theorin gelingt es somit, einen Kriminalroman der etwas anderen Art zu konstruieren. Wer einen Mord auf der ersten Seite erwartet, wird enttäuscht sein. Wer bluttriefende erste Kapitel erwartet, ebenfalls. Aufwändige und stets in die Irre führende Ermittlungsarbeiten entfallen ebenfalls und die permanent große Action sowieso.

Der Autor räumt zunächst seiner Hauptperson absolute Priorität ein, und leuchtet sowohl Vergangenheit als auch Gegenwart bis ins Detail aus. Die durchaus oscarreif besetzten Nebenrollen verändern die Gewichtungen, ändern Perspektiven und verleihen der Geschichte mehr und mehr Tiefgang. Am Ende nimmt die Geschichte einen völlig unerwarteten Verlauf und das auf dem Buchumschlag angekündigte Duell findet tatsächlich statt.

Alles andere leider nicht. Der Klappentext geht völlig in Ordnung, aber wenn auf dem Umschlag  behauptet wird, der Roman wäre ganz und gar nichts für schwache Nerven oder der Autor gar mit dem immer wieder gern zitierten Stephen King verglichen wird, dann ist dies mehr als eine charmante Übertreibung, nämlich - aus meiner Sicht - einfach nicht wahr. Es läuft einem auch nicht "kalt den Rücken herunter" und nach der Lektüre kann man bedenkenlos das Licht ausschalten.

Schade eigentlich, denn derlei in die Irre führende Übertreibungen hat dieses Buch eigentlich gar nicht nötig. Lässt man die Luft aus dem Ballon der verkaufsfördernden Übertreibungen heraus, bleibt immer noch ein solider und spannender Kriminalroman übrig und - so ganz nebenbei gesagt - eine Liebesgeschichte der etwas anderen Art!

 

Thomas Lawall - November 2012

 

 

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