Sieg der Blödigkeit Ist die Vernunft noch zu retten?
von Oliver Kalkofe
236 Seiten © 2024 Knaur Verlag www.droemer-knaur.de ISBN 978-3-426-56056-3
Kurz vor der Bundestagswahl 2025 erreichte mich dieses Buch. Mündige Bürger/innen haben inzwischen gewählt und schon von daher kam mir die Lektüre gerade recht, da mir die Formulierung des Titels doch irgendwie zum, in meinen Augen eher ernüchternden, Wahlergebnis zu passen scheint.
Aber potentielle Leserinnen und Leser müssen keine Angst haben. Es ist bei weitem kein politisches Buch. Es ist viel schlimmer.
Die zahlreichen Demonstrationen im Vorfeld der Wahl erzielten, wenn überhaupt, nur ein bescheidenes Ergebnis. Woran das wohl liegen mag? Antworten hierauf gibt Oliver Kalkofe nicht direkt. Indirekt könnte man aber solche ebenfalls im Titel und/oder Untertitel des Buches vermuten.
Erst einmal stellt uns der Autor eine ganze Reihe von gesellschaftlichen Untiefen vor, die es allesamt in sich haben. Formulierungstechnisch gesehen jedenfalls. Verbal hat er zweifellos das große Gnaden-Los gezogen.
Zuerst gilt es, Schuldige zu finden. Da gäbe es unzählige personifizierte Möglichkeiten, doch er hält den Ball zunächst relativ flach, indem er ganz allgemein das Gehirn als Verantwortlichen ausmacht. Gute Tarnung, denn es könnte ja schnell jemand beleidigt sein.
Mit ein Grund für das Erstarken der Blödigkeit könnte der immer weiter schrumpfende Informationsgehalt von Nachrichten sein, der insbesondere im Internet (und gewissen Printmedien) immer weiter zusammengekürzt wird, um dem reduzierten Aufnahmevermögen der Nutzer/innen Rechnung zu tragen.
"Früher gab es anscheinend mehr Buchstaben."
Krass wird es, wenn er sich das "Berufsbild Influencer" vornimmt. Jene Species, die,
"dank exzessiver chirurgischer Körper-Modifikationen aus optisch massengeschmackstauglichen, aber emotional ausgehöhlten Lebensformen besteht."
Doch das ist erst der Anfang, und im Vergleich zu jenem, was dann seitenweise folgt, noch zurückhaltend-höflich formuliert.
Doch es gibt ja noch weitaus drolligere Themenbereiche und egal ob es sich um Künstliche Intelligenz, die ach so lieben Feiertage, die "Krisen-Akte Karneval" oder Medien und Werbung im Allgemeinen handelt, weiß der satirische Beobachter ein wahres Feuerwerk an Unterstreichungen abzubrennen.
Besonders beeindruckt hat den Rezenten das Bombardement aus schlagkräftigen Metaphern, die in der Tat zum wiederholten Genuss und Auswendiglernen einladen. Dazu gehören beispielsweise Formulierungen wie "Vernunfts-Narkotisierung", Desinformationsflatulenz", Bildungs-Allergiker", oder "stabile Seitenlage der geistigen Bewegungslosigkeit".
Für Fortgeschrittene bieten sich Kreationen wie die "orthografische Schnappatmung", "Emotionsverstopfung" oder "schlauchlippige Botox-Endlagerstätten" an. Und wer meint, der Rezensent hätte hier schon alle Höhepunkte der Kalkofe'schen Wortkunst verraten, der irrt gewaltig.
"Sieg der Blödigkeit" ist ein massiv-gesellschaftskritischer Rundumschlag der konzentriert-gehobenen Sonderklasse. Durch eine feinsinnige, aber ebenso unverschämte wie gnadenlose Überspitzung aktueller Entwicklungen entsteht fast so etwas wie ein ambivalentes Staunen, so als ob einem ein herzliches Lachen im Halse erstickt und im nächsten Augenblick mit Brechreiz koaliert.
Wie man diese Bestandsaufnahme des Grauens letztlich verkraften soll, weiß der Rezensent auch nicht. Dessen (Rest-)Verstand ermahnt allerdings zur Ruhe und Geduld: Schließlich sei die Evolution noch in vollem Gange und manchmal - Pech, wer das gerade erleben sollte - lege sie eine längere Pause ein.
Doch es ist noch nicht alles verloren, denn es gibt durchaus noch Hoffnung, oder wie Oliver Kalkofe sagen würde...
… steht im letzten Kapitel.
Stehender Applaus!
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