Sie nennt es weggehen
von Gert Eckel
208 Seiten © 2014 Pattloch Verlag GmbH & Co. KG, München www.pattloch.de ISBN 978-3-629-13055-6
Vierzig Jahre lebte der Autor mit seiner Frau Sarah zusammen, bis sie, unheilbar krank, einen selbstbestimmten Tod starb. Kurz danach ging er eine neue Beziehung ein. Manche hat es schockiert. Hanna war zudem sehr viel jünger, was im persönlichen Umfeld für zusätzliche Unruhe sorgte. Aber nicht für "meine Freunde und ihre Freunde", wie der Autor schreibt.
Hanna ist das Haus, in welchem Sarah, die Malerin, früher auch Dichterin und Regisseurin, zusammen mit ihrem Mann, dem Architekten Gert Eckel, lebte, ganz am Anfang noch fremd. "Alle Räume erzählen eine Geschichte, die nicht Hannas ist und auch nicht unsere." Eine neue Wohnung "ohne eine Geschichte, die nicht die unsere ist, die wir mit der unseren würden füllen können" ist in Aussicht, doch das Leben geht weiter. Das Haus wird nicht verkauft und eine neue Geschichte beginnt, "die Vergangenheit zu überlagern".
Doch leider ist das neue Glück nicht von Dauer. Hanna ist an Krebs erkrankt. Und bald wird unmissverständlich klar, es ist ein solcher, der sich nicht besiegen lässt. Was Gert Eckel dann mit diesem Buch wagt, ist nicht gerade gewöhnlich - und was beide zunächst wagen, ist ein mehr als ausgefülltes Leben im Angesicht des Todes. Es ist eine ungeheure Trauer allgegenwärtig, aber es ist kein Aufgeben und kein Resignieren.
In fast lyrischer Verdichtung dokumentiert der Autor ein sehr besonderes und ganz persönliches Abschiednehmen. "Der Tod umschleicht uns. Die Kreise werden täglich enger." Drastische und endgültige Operationen sind notwendig. Sie nehmen es hin, auch wenn Hanna sich nach Leben sehnt. "Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie gern ich weiterleben würde."
Man kann dieses Buch nicht im herkömmlichen Sinne lesen, man muss es immer wieder tun. Es geht nicht, das alles in einem Zug zu überfliegen, um rasch zu einem Ende zu kommen. Was passieren wird, ist klar, doch der Weg dahin mag das eigentliche Ziel dieses Buches sein. Es gibt sie trotz allem, jene glücklichen Tage. Wenn man so will. Auch wenn die Bedrohung allgegenwärtig ist, bleibt doch "Zeit für das Leben, für den Augenblick und für das Glück. Es ist ein Glück in Moll, doch darum kein geringes".
Das persönliche Erleben dieser Zeit manifestiert sich in einer sprachlichen Wucht, die sprachlos werden lässt. Der Autor findet Worte, die wie seine entworfenen Bauten für sich selbst stehen mögen, stabil und endgültig wirken. Im Gegensatz dazu klingen sie oft filigran und verletzlich, in permanenter Gefahr, unter der eigenen Last zusammenzubrechen: "Zwischen dem Möglichen und dem Unmöglichen liegt das Träumbare."
Viel Zeit bleibt den Liebenden nicht. Ein gemeinsames Leben aufzubauen, kann nicht gelingen. Alle Voraussetzungen dafür sind gegeben, nur nicht die Zeit dazu. Doch die Intensität ihrer Beziehung bewirkt nicht nur Zustände des reinen Glücks, indem sie das Sein im Hier und Jetzt in Vollkommenheit erlebt, sondern auch, im Wissen auf Hannas nahendes Ende, eine "nahezu mystische Verdichtung".
Hanna plant ihre Beerdigung bis ins Detail. Die ihr Nahestehenden sollen Gedichte mitbringen, die Kinder selbstgemalte Bilder, so eine ihrer Ideen und ein vorläufiger Entwurf. Die Blätter sollen an ihrem Sarg befestigt werden "dass sie ihn ganz bedecken, bis man ihn nur noch erahnt", und dann mit ihr verbrannt werden. Eine Anzeige ihres Todes wird es ebenfalls geben, jedoch eine solche, in welcher die Worte "Tod" oder "gestorben" nicht vorkommen sollen.
Die Tage schwinden in dem Maße, wie die Schmerzen zunehmen. Und es sind nicht die einzigen körperlichen Beschwerden, die Hanna in Würde zu ertragen versucht. Eine entsprechende Medikation und Hannas kreativer und wacher Geist gehen eine unschlagbare Allianz ein, jedenfalls für den Moment. Doch es gilt, sich mit dem Unausweichlichen auseinanderzusetzen. Sie plant den letzten großen Schritt in der Gewissheit und Überzeugung, "dass jeder Mensch ein "Ur-Recht besitzt, in Würde zu sterben mit möglichst klarem Verstand und möglichst wenig Leiden".
Was sie dann auch tat. Freundinnen und Geschwister wollte sie um sich wissen. Sie kamen alle, doch ihre letzten Minuten wollte sie allein verbringen. Ganz leicht soll ihr Weggehen sein, "wie eine Brise Wind".
Es gibt kein Buch wie dieses. Gert Eckel hat sich die Finger und seine Seele wund geschrieben. Vielleicht besitzt dieses Buch einen größeren Wert als alles, was er bislang entworfen und gebaut hat. Dieses Werk ist durchdrungen von einer zutiefst berührenden Menschlichkeit und Herzensgüte. Der Autor hat damit und mit seinem Leben und Denken den Artikel 1 unseres Grundgesetzes gleich mehrfach unterstrichen.
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