Selbst ein Anfang sein
von Dirk Grosser
192 Seiten © 2011 by Arun-Verlag für die deutsche Ausgabe www.arun-verlag.de wildeweisheit.blogspot.de ISBN 978-3-86663-059-8
"Ein dogmatisch eingesperrter Geist kann nichts erfahren, denn sein ganzes Denken und Empfinden unterliegt der Zensur des Dogmas", schreibt Dirk Grosser im Kapitel "Freiheit und Achtsamkeit". Die Menschen im Kosmos, der immer noch dabei ist, sich frei zu entfalten, sieht er als dessen Ausläufer und als "Speerspitzen des Potentials".
Unsere geistigen Möglichkeiten sind noch lange nicht ausgeschöpft. Der "leere" Raum in uns gleicht dem Weltraum und dessen Möglichkeiten in gewisser Weise. Leider werden wir, seit es die verschiedenen Religionen gibt, auf mehr oder weniger subtile Weise immer wieder davon abgehalten, uns frei zu entfalten. Der Reichtum an dringend notwendigen Erfahrungen wurde und wird immer noch stark eingeschränkt, kreatives Wachstum nachhaltig verhindert und der freie Geist hinter Gitter gesperrt und in Sachen Wahrheit auf Distanz gebracht. Dirk Grosser sieht und denkt in kosmischen Dimensionen. In ebensolchen sieht er uns Menschen verankert und vereint. Ein personalisierter Gott hat hierin nicht nur keinen Platz, sondern ist schlicht und ergreifend überflüssig. Was bringen uns "eifersüchtige und zu Gewaltausbrüchen neigende alte Knacker", die Anders- oder Nichtgläubige mit grausamer Folter und ewiger Verdammung drohen? Ausgetretene Wege und vorgefertigte Denkmuster sollten der Vergangenheit angehören, um "geistigen Missbrauch" zu stoppen. Die Menschen werden permanent ge- und behindert, ihre eigenen Beziehungen und Verflechtungen zum Kosmos zu entdecken und zu erfahren. So weit so gut ...
Nun wird es aber, was meine ganz persönlichen Empfindungen und Überzeugungen betrifft, etwas zu "romantisch", denn jetzt kommt, was kommen muss: die "spirituelle" Seite der Medaille. Der "Segen des Universums" fließt direkt in unser Herz und umgekehrt "segnen wir das Universum durch unser Bewusstsein und unser Erkennen". Doch damit nicht genug, denn Kosmos sowie Mensch werden in der nun eingegangenen Beziehung auch noch "geheiligt" und überhaupt ist der gesamte Kosmos heilig. Spirituell ist natürlich ebenfalls alles, wobei an anderer Stelle von der Konzentration auf etwas Besonderes dringend abgeraten wird ...
Freilich benötigt der Kosmos kein über ihm stehendes Überwesen oder wie auch immer man es nennen möge, weshalb auch Priester und sämtliche Religionen überflüssig sind. Wir brauchen aber auch kein "heiliges" Universum, denn es ist alles andere als heilig. Wir Menschen sind es schon gar nicht, denn nichts und niemand ist heilig. Dieses Vokabular sollten wir denjenigen überlassen, die hin und wieder dem einen oder anderen Schäfchen aus ihren Reihen ein Krönchen aufzusetzen gedenken. Der freie Geist ist frei im wahrsten Sinne des Wortes. Er braucht einen harmonischen Gleichklang mit dem ihm umgebenden Kosmos nicht, denn der Kosmos sieht uns nicht, kennt uns nicht und wir sind ihm zudem völlig schnuppe. Wenn es ihm beliebt, ex- oder implodiert er und reißt ganze Planetenvölker ins Nichts und aus ist es mit jeder noch so liebevoll gepflegten Spiritualität und tiefster Verbundenheit ...
Und wenn wir schon bei Meinungsverschiedenheiten sind, darf ich noch einen Widerspruch erwähnen, indem ich behaupte, dass ich das "nackte Sein" keinesfalls als ein Mysterium sehe. Freundlichen Protest melde ich bezüglich des Kapitels "Wer braucht schon einen Zen-Meister, wenn er einen Hund hat?" an, denn die angesprochene Tierart sehe ich keineswegs als "Krone der Schöpfung". Da man aber bekanntlich mit Hundebesitzern nicht diskutieren kann, möchte ich es dabei belassen ...
Ja ja ja, ich weiß, das gehört sich nicht in einer Rezension, hier eine Grundsatzdiskussion anzuzetteln. Ich kriege mich auch gleich wieder ein und kehre vom Ausflug in die eigene Meinung wieder auf den sicheren Grund der tatsächlichen Gegebenheiten bzw. der Tagesordnung zurück. Eine gute Überleitung, denn weitgehend sind wir uns ja einig. Ich kann nur diese ewige Schönfärberei mit der sog. Spiritualität wirklich nicht mehr haben, lesen, sein und leben schon gar nicht. Ist ein phantastischer Sonnenuntergang "spiritueller" als Hausaufgabenmachen mit den Kindern? Weshalb immer diese völlig unnötige Aufwertung von ganz normalen menschlichen Erfahrungswerten? Bleiben wir doch auf dem Teppich.
Als ich zum ersten Mal von einem Hügel in die schottischen Highlands sah, glaubte ich zunächst an eine "spirituelle" Erfahrung und die Intensität dieses unglaublichen Erlebnisses, meine zutiefst empfundenen, fast schmerzlich-schönen Gefühlswallungen zogen mich gar an den Rand der "Erleuchtung"! In Verbindung mit der gewissen Art von "Überzeugung", vor Jahrhunderten schon einmal an diesem Punkt gestanden zu haben, hätte ich beinahe jede Fassung verloren und tue das in meiner Erinnerung noch immer, auch wenn diese legendäre Fahrt (nach Findhorn!) schon seit über 30 Jahren Geschichte ist.
Hatte ich eine spirituelle Erfahrung (und in Findhorn erst recht)? Nein. Es war lediglich eine ganz normale menschliche Erfahrung, die ich eben so und in dieser Art noch nie gemacht hatte! Wir brauchen keine Situationen, die wir in den Himmel loben und als etwas Besonderes darstellen. Wir selbst und unsere Erfahrungen sind das Besondere, wenn man so will! Und an diesem wunderbaren Punkt treffen sich unsere Überzeugungen wieder. Das was IST, braucht letztlich keine Definition: "Die Welt der Phänomene, die uns umgibt, lädt uns ein, in ihr all das zu entdecken, wonach wir uns immer schon sehnten. Die Phänomene, die einfach vorhanden sind und ohne unsere Benennung und Enordnung in einen religiösen Kontext auskommen."
Seine ganz großen Momente erlebt "Selbst ein Anfang sein" zum Beispiel im Kapitel "Entfaltungsgeschichte statt Schöpfungsmythos". Auf gut vier Seiten nimmt uns Dirk Grosser mit auf eine phantastische Reise. Wir stürzen mit ihm 13,7 Milliarden Jahre zurück ins gegenstandslose Nichts. Dort angekommen, wenden wir umgehend (denn im Nichts geht es kaum weiter). Es folgt logischerweise der Urknall und die Entstehung von Raum, Materie und Zeit und wir reisen mit ihm in rasender Geschwindigkeit durch expandierende Galaxien, sehen die junge Erde und ganz am Schluss die Geschichte der Menschheit bis zum aufgeschlagenen Buch der ersten Ausgabe seines Buches ...
Mit "Die Elemente unserer inneren Welten" erhebt sich die Kraft seiner Worte, indem er in eindringlichen Bildern unsere tiefe Verbundenheit mit den vier klassischen Elementen Feuer, Wasser, Erde und Luft in fast poetischer Kraft an uns vorüberziehen lässt. Kein Wunder und sicher alles andere als ein Zufall, dass wir im nächsten Kapitel mit neuen Augen das Staunen neu begreifen ... wenn wir wollen.
"Selbst ein Anfang sein" erzeugt eine Art Aufbruchstimmung. Neben einer umfassenden Bewusstseinserweiterung beantworten sich alle Fragen von selbst. Die Sinnfrage erübrigt sich, denn insofern wir in ihm leben, ist sie ohne Belang. Von allem weltanschaulichen Balast befreit, tut sich ein Kosmos ungeahnter Möglichkeiten auf und wer sich nicht sowieso schon auf dieser Reise befindet, kann vielleicht die Entscheidung treffen, sich diesem Zug anzuschließen ...
... allerdings nicht im Sinne von Zusteigen oder Mitfahren, denn wer es begriffen hat, baut sich seinen eigenen Zug und seine eigene Strecke! Ein schöneres Fazit kann es nicht geben: "Selbst ein Anfang sein."
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