Literatur

Schutzpatron

von Volker Klüpfel & Michael Kobr


400 Seiten
© Piper Verlag GmbH, München 2011
www.piper.de
www.kommissar-kluftinger.de
ISBN 978-3-492-05205-4



"Himmelarsch!" Es ist schon ein Kreuz, wenn man sich nicht an den Text seiner Rede erinnert. Noch blöder wird es, wenn man nicht einmal mehr weiß, wem diese Rede zugedacht war. Einer Katastrophe kommt es gleich, wenn man vergessen hat, überhaupt eine halten zu müssen!

Es ist natürlich klar, das so etwas nur Kriminalhauptkommissar Kluftinger passieren kann. Dabei hat der tolpatschige Ermittler aus Kempten im Moment wirklich ganz andere Sorgen. Die Kemptener Kripo zog in ein neues Gebäude um und Schluss ist es mit den reservierten Parkplätzen für die Mitarbeiter. Gerade mal für die Dienstwagen gibt es im Hof noch Platz. Die meisten seiner Kollegen mieteten im nahen Parkhaus reservierte Stellplätze zu Sonderkonditionen. Für Kluftinger kommt dies jedoch nicht in Frage, da er es auf gar keinen Fall einsehen kann, für die Erlaubnis, seinen Wagen während der Arbeit irgendwo abstellen zu dürfen, bezahlen zu müssen. Lieber macht er sich permanent auf die nervtötende Suche nach den wenigen kostenlosen Parkplätzen in der näheren Umgebung.

Derart geladen, beschert ihm die Erwartungshaltung der Kollegen und insbesondere des Herrn Lodenbacher, seines Zeichens sein Vorgesetzter und Polizeipräsident, einiges an Kopfzerbrechen. Das Fass zum Überlaufen bringt die Tatsache, dass Lodenbacher unter heftigem Zeitdruck steht. Eine Partie Golf mit dem Herrn Landrat steht nämlich an! Wem also war die Rede angedacht und welchem Ereignis eigentlich? Einem Geburtstag oder einem Jubiläum etwa? Vielleicht einer Beförderung? Kluftingers Gedächtnis gibt ihm in diesem Fall keine Chance. Die peinliche Situation eskaliert - das konnte ja nicht gutgehen.

Ob sich die weiteren Ereignisse zum Guten wenden, ist ebenfalls fraglich. Gerichtsmediziner Georg Böhm platzt wieder einmal mitten ins Chaos. Kluftinger soll mitkommen, denn er hat etwas für ihn. In seinem "Büro", wie er die Leichenkammer nennt. Im Keller des Memminger Klinikums angekommen, findet Kluftinger eine unerwartet unspektakuläre Leiche vor. Die 82jährige Frau wurde in der Autowerkstatt ihres Mannes tot aufgefunden. Der Hausarzt diagnostizierte eine natürliche Todesursache. Die Würgemale am Hals wurden erst nach einer genauen Obduktion gefunden. Für Georg Böhm nichts Neues, da die meisten Hausärzte für die Feststellung gewaltsamer Tode gar nicht ausgebildet wären. In diesem Zusammenhang weist er auf rund 1200 Morde hin (reale Zahlen!), die in Deutschland pro Jahr erst gar nicht entdeckt werden würden!

Die Ermittlungen beginnen, werden aber dahingehend gestört, dass der allseits beliebte Polizeipräsident Lodenbacher samt dem Herrn Landrat die dringende Auffassung teilen, Kluftinger müsse bei einer Arbeitsgruppe mitwirken, die sich um die Sicherheit des nach einer weltweiten Ausstellungsreise nach Altusried zurückgekehrten Burgschatzes kümmern soll. Anfang der 80er Jahre wurde der Schatz von einem Spaziergänger entdeckt. Kluftinger hatte damals als junger Polizist mit dem Fall zu tun. Er kennt den Finder sehr gut, jenen Andreas Kohler, der ihm damals auch seinen geliebten Passat verkauft hat. Knapp 400.000 Kilometer hat er inzwischen auf dem Buckel ... und jetzt ist er nicht mehr da. Doch das ist eine andere Geschichte ...

Und es gibt viele solche Geschichten und Episoden, die sich eher am Rande abspielen, welche aber von Volker Klüpfel und Michael Kobr nahtlos in die eigentliche Geschichte verwoben werden. Die Haupthandlung verliert deshalb zwar stark an Profil - von dieser würde aber andererseits nicht mehr viel übrigbleiben, würde man das ganze "Beiwerk" streichen. Erst 50 Seiten vor dem Ende kommt so etwas wie Fahrt auf. Die eigentliche Story konkretisiert sich, das (viel zu) lange angedeutete Verbrechen wird endlich in die Tat umgesetzt ... und prompt aufgeklärt! Das enttäuscht dann doch etwas.

Ein trockener Kriminalfall (wobei "Schutzpatron" mit einem "echten Krimi" nicht mehr viel zu tun hat) ist dennoch nicht zu erwarten, denn die Detailverliebtheit des Allgäuer Autorenduos ist ebenso wie ihr Ideenreichtum ungebrochen. Einmal mehr dreht sich alles um die beispiellose Figur des Kemptener Kriminalhauptkommissars Kluftinger, welcher bei einer Wahl des Tolpatschs des Jahrhunderts wohl die allerbesten Chancen hätte! Allein die Anekdoten rund um Kluftingers ersten Flug suchen ihresgleichen. Gnadenlos komisch gestalten sich die Ereignissse bezüglich seines "gestohlenen" Passats nebst seiner "Neuanschaffung", sowie einem ganzen Arsenal von Fettnäpfen, die immer wieder für ihn bereitstehen ...

Die slapstickartigen Verwirrungen und Missverständnisse sind bühnenreif umgesetzt, die Dialoge ausgefeilt, und nicht selten bis auf das Allernotwendigste reduziert, was insofern darin gipfelt, dass der Roman (nach dem Prolog) mit einem einzigen, oben schon zitierten Schimpfwort beginnt ...

Das alles und noch viel mehr garantiert nicht nur den einen oder anderen Brüller, sondern insgesamt gute Unterhaltung auf gleichbleibend hohem Niveau. Im nächsten Fall darf es dann aber gerne wieder etwas mehr Krimi-Action sein!

 

 

Thomas Lawall - September 2011

 

 

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