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Schöne Scham
von Bianca Nawrath
256 Seiten 1. Auflage 2025 © Frankfurter Verlagsanstalt GmbH www.fva.de ISBN 978-3-627-00332-6
Wer schon einmal in einer oder mehreren WGs gelebt hat, wird sich sofort wohlfühlen. Oder auch nicht. Diese Art Gespräche, die es dort und nur dort einst gab, vermisst der Rezensent schon lange. Auch wenn er dabei manchmal Federn lassen musste.
Amalia, Christian, Kata und Lenny unternehmen einen Wochenendausflug an die Ostsee. Begleitet werden die Pärchen von der unkonventionellen Soziologiestudentin Ola, Katas Cousine.
Das Ferienhaus von Katas Eltern dient als gemeinsame Unterkunft, jenes "Haus aus ehrlichem Backstein", welches den kalten Einheitslook der benachbarten Häuser "auslacht".
Die Erzählperspektiven wechseln ständig, was Leserinnen und Leser, die sich einen ruhigen und gleichmäßigen Lesefluss vorgestellt haben, zunächst etwas (angenehm) verwirren könnte.
In kurzen Kapiteln wird die Geschichte jeweils aus der Sicht von Ola, Kata und Amalia erzählt, welche durch die grundverschiedene Art ihrer Persönlichkeitsstrukturen den Roman außerordentlich vielschichtig gestalten.
Hier kommt nicht nur eine ungewöhnliche Spannung auf, sondern auch so etwas wie Erkenntnisgewinn, insbesondere was die männliche Leserschaft betrifft, sofern sie es denn zulassen.
Apropos, die Partner der Damen, Christian und Lenny, dürfen die Dinge aus ihrer Sicht nicht schildern und kommen somit mehr oder weniger nur indirekt zu Wort. Der Rezensent ist sich ziemlich sicher: Das ist verdammt gut so! Deren Beiträge, insbesondere Christians, wären dann wohl eher der bescheidenen Art.
Dass die unangepasste und selbstbewusst auftretende Ola irgendwie nicht in diese Runde passt, ahnt man schnell. Hier scheinen Auseinandersetzungen vorprogrammiert zu sein. Was man aber nicht ahnt, ist das, was am Ende wirklich passiert.
Ola fällt aus dem Rahmen, ist (für manche zu) spontan, offen und ehrlich, aber auch voller Zweifel und Unsicherheit und verfügt zusätzlich über die seltene Gabe, Ungesagtes zu unterstreichen. Etwas, was Amalia in allen Belangen noch fehlt.
"Ich sage nichts. Selbst schuld. Christian füllt mich aus, bis kein Platz mehr für mich bleibt. Dann ist er fertig. Schnelle Sache, wie immer."
Jene zunächst nur gedachten Worte übernehmen aber mehr und mehr das Ruder, was natürlich nicht ohne Wirkungen und Folgen bleibt. Die Frage ist nur, wie weit man gehen soll, wenn allein das Gewicht des Gesagten, so man sich denn traut, immer weiter zunimmt.
Zusätzlich zu den aktuellen Problemen stehen Einfluss der Eltern und die durch sie aufgezwungenen Erziehungsmuster den heutigen Befindlichkeiten im Weg, und drängen sich, trotz jedem Willen zur Veränderung, viel zu oft in den Vordergrund.
"Schöne Scham" ist ein spannendes Drama um Selbsterkenntnis und -befreiung. Freundschaft auf dem Prüfstand. Großes Theater in kleiner Besetzung.
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