Literatur

Schnatzelschnapf!
Oder: Wie kommt die Welt in meinen Kopf?


von Gunnar Kunz


144 Seiten
© 2012 by Verlag Monika Fuchs, Hildesheim
www.verlag-monikafuchs.de
www.schnatzelschnapf.de
www.gunnarkunz.de
ISBN 978-3-940078-32-2



Krümel geht zum Strand hinunter und traut seinen Augen nicht. Eigentlich ist er auf der Suche nach seinem besten Freund Hopsa. Möglicherweise ist er wieder unterwegs, um sich nach neuen Wörtern für seine Sammlung umzuschauen und ist deshalb wie immer sehr schwer zu finden. Trotzdem will er erst einmal in ihrem gemeinsamen Geheimversteck nach ihm schauen. Doch am Eingang zu ihrer kleinen Höhle sitzt ein Fremder. Ein älterer, seltsamer Mann in einer Kapitänsuniform. In aller Ruhe hat er es sich gemütlich gemacht und ein Lagerfeuer angezündet, über dem er jetzt einen Fisch grillt.

Krümel meldet umgehend Besitzansprüche an, denn schließlich waren es er und Hopsa gewesen, welche die Höhle einst entdeckt hatten. Das interessiert den Fremden aber überhaupt nicht. Schließlich könne Krümel gar nicht wissen, ob nicht er selbst die Höhle schon vor vielen Jahren entdeckt haben könnte. Zudem will er wissen, was ein "Krümel" überhaupt ist. "Na ich", erklärt Krümel kurz und bündig, worauf der Fremde entgegnet: "Kann jeder behaupten."

Damit löst er bei Krümel eine Art Sinnkrise aus, denn nun überfallen ihn Fragen wie Motten das Licht. Krümel stellt sowieso gerne Fragen. An sich selbst und an das Leben überhaupt. Viele Dinge versteht er nicht, und er möchte ihnen auf den Grund gehen. Da ist zum Beispiel die Sache mit dem Loch. Ein Loch ist ja eigentlich überhaupt nichts. "Aber wie kann es einen Namen für etwas geben, das gar nicht da ist?" Mit der Zeit ist es noch schwieriger. Die würde er gerne in sein Heft malen. Leider ist sie unsichtbar, weshalb keiner weiß, wie sie aussieht! Natürlich möchte er auch wissen, wer er selbst ist, und er wird nicht müde, dies herauszufinden ...

Krümel hat einen besten Freund. Er heißt Hopsa. Wie fast alle Leute, die er kennt, hat auch er eine Sammelleidenschaft. Aber er sammelt keine Steine und Muscheln wie Krümel, Blumen wie Tante Ziep, Lügengeschichten wie Onkel Giggel oder gar Etiketten von Konservendosen wie Herr Purzelbaum - nein - Hopsa sammelt Wörter. Er ist sogar der größte Wörtersammler im ganzen Dreiwünschewald! Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Hopsa noch gar nicht lesen und schreiben kann. Das macht aber nichts, denn in seinem Kopf hat er einfach einen besonderen Platz eingerichtet, wo er sich alle seine besonderen, erstaunlichen, lustigen und manchmal auch traurigen Wörter merken kann.

Hopsa denkt gemeinsam mit Krümel über ein Wort nach, das er im Wald gefunden hat. Das ist etwas Besonderes, denn im Wald hat Hopsa noch niemals ein Wort gefunden. Bei der alten Eiche lag es, auf ein Stück Baumrinde eingeritzt. Es ist nicht richtig zu erkennen und Herr Purzelbaum hilft beim Entziffern. Leider scheint nur ein "Schn" erkennbar zu sein. Hopsa ist davon überzeugt, dass es "Schnatzelschnapf" heißt. Beide schweigen nach dieser erstaunlichen Erkenntnis, denn "wenn man ein richtig gutes Wort gefunden hat, muss man ihm Respekt zollen." Was genau allerdings ein Schnatzelschnapf ist, gilt es noch zu erforschen ...

Schon in den ersten Zeilen wird dem aufmerksamen Leser unzweifelhaft klar, kein gewöhnliches Kinderbuch in Händen zu halten. Das ist auch kein Wunder, denn die gibt es in diesem Verlag auch nicht.
Auf den ersten Blick erscheint aber die Zielgruppe von Fünf- bis Neunjährigen insofern etwas zu optimistisch angelegt zu sein, denn wie sollen gerademal Fünf- oder Sechsjährige die tiefgreifende Thematik des Buches verstehen können? Dieser Eindruck relativiert sich aber schnell, denn auf den dargestellten Ebenen finden sich wache Kindergeister sehr schnell wieder. Gunnar Kunz schreibt auf der Ebene genau jener, die mit ihren Fragen gerade dabei sind, die Welt und das Leben für sich zu entdecken.

Auch für Erwachsene erschließt sich die Poesie seiner Worte in einem so nicht erwarteten Maß. Man kann beispielsweise die Nacht förmlich fühlen, wenn alles zur Ruhe kommt, "wenn Geräusche schlafen". Die Welt hat sich verkleidet, findet Krümel, "wie er beim letzten Fasching", und er verliert seine Nachtangst, denn sie muss ja ebenfalls schlafen und hat sich deshalb "ein dunkles Tuch übergeworfen, eine Bettdecke aus Schatten".

Kongenial unterstützen die Illustrationen des Autors die Geschichte der Welt und wie sie in unsere Köpfe kommt. Manche scheinen wie aus Träumen gezeichnet ...

Es ist unvermeidlich, dass Kinder im frühen Selbstfindungsprozess bei oder allerspätestens nach der Lektüre von Schnatzelschnapf mit einem ganzen Berg Fragen die Elteren überfallen werden. Dem sollte man als "Großer" insofern vorbeugend begegnen, indem man das Buch einfach selbst einmal liest. Das bedeutet nicht nur ein ganz großes (Lese-)Vergnügen und öffnet die Sinne in alle Richtungen, sondern bereitet bestens auf die zahlreichen Fragen vor, die da sicherlich kommen werden.

Ein weiteres ganz dickes Plus ist die Sensibilisierung der jungen Leseratten für die Möglichkeiten der Sprache an sich. Die Verantworung dafür überträgt Gunnar Kunz seiner Figur Hopsa, der übrigens auch ein ganz hervorragender Wolkenleser ist! Der neugierige, wortsammelnde Naseweis und bester Freund von Hauptfigur Krümel versteht es auf bezaubernde Weise, die Lust an Sprache zu wecken und zu fördern. Was man für einen Spaß mit Wörtern haben kann, ist für Kinder eine sehr wichtige Erfahrung und allein deshalb hat dieses Werk, zumindest von meiner Seite aus, das Prädikat "besonders wertvoll" mehr als redlich verdient!

Ein schöneres und besseres Schlusswort kann ich nicht schreiben, weshalb ich Krümel das letzte Wort erteilen möchte:

"Wir sind klein, aber mit Hilfe von Wörtern hat die ganze Welt in uns Platz!"

 

Thomas Lawall - Oktober 2012

 

 

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