Literatur

Sektion 3 | Hanseapolis
Schlangenfutter


von Miriam Pharo


248 Seiten
© ACABUS Verlag, Hamburg 2010
www.acabus-verlag.de
www.miriam-pharo.com
ISBN: 978-3-941404-00-7



Der Zukunftsthriller "Schlangenfutter" bildet den Auftakt zu einem Zweiteiler um das ungewöhnliche Ermittlerduo Louann Marino und Elias Kosloff. Miriam Pharo hat für ihren Mix aus Krimi und Sience Fiction eine mehr als atemberaubene Kulisse geschaffen. Schauplatz ist die Europäische Föderation im Jahr 2066. Hamburg und Lübeck existieren nur noch in der Erinnerung. Es geschah am 11. April 2025. Der Orkan Kumani schaffte, was Katastrophen-Experten bis dato für unmöglich hielten. Er türmte in der Deutschen Bucht, westlich von Hamburg, eine 30 Meter hohe Welle auf, welche mit einer Geschwindigkeit von 500 Stundenkilometern über das Land brach und es verwüstete.

Der Schaden war beträchtlich und die Verbindung zur Nordsee gekappt. Hundert Quadratkilometer Land wurden nicht nur zerstört - Cuxhaven und Stade existierten nicht mehr -, sondern auch durch die Verbindung von giftigen Elbschlamm und Salzwasser verseucht. Hamburg war bankrott und beklagte den Tod von 250.000 Menschen. Ein Bündnis mit Lübeck brachte die Lösung - die beiden Städte verschmolzen zu einer einzigen gigantischen Stadt: Hanseapolis ...

Im Jahr 2029 beschloss man, einen gigantischen Schutzwall gegen weitere Überschwemmungskatastrophen zu errichten. Der aus schwarzem Beton gebaute Damm erreichte eine Höhe von 50 Metern und eine Länge von 350 Kilometern. Eine weitere Katastrophe verhinderte, dass das Gebiet jenseits der Mauer erschlossen und trockengelegt wurde. Ein mit hochgiftigem Sondermüll beladener Flugcontainer stürzte über dem Gebiet ab, weshalb die Europäische Föderation beschloss, das gesamte Areal auf unbestimmte Zeit unter Quarantäne zu stellen.

2066 ist Hamburg ein Nobelbezirk von Hanseapolis, während die Industrie in gigantische Zonen um die Lübecker Region verlagert wurde. Die Menschen leben in riesigen Towern, die in einer Höhe von 60 Metern, der Flugzone 1, durch ein kompliziertes Polymer-Röhrensystem verbunden sind. Hier bewegt man sich mit dem Hauptverkehrsmittel von Hanseapolis, den Expressbahnen, mit Spitzengeschwindigkeiten bis zu 600 km/h zum gewünschten Zielort. Private Gleiter und Lufttaxis füllen den Luftraum in Zone zwei, in einer Höhe von 100 - 400 Metern. Bei 600 Metern beginnt die dritte Zone, welche Fracht- und Passagierschiffen vorbehalten ist. Den Erdboden betreten nur noch wenige - was auch nicht unbedingt ratsam ist. Schließlich sind die Regionen unterhalb von 50 Metern kein sicheres Pflaster mehr. Zudem ist die Luft am Boden vergiftet, wie in allen Megacitys der Europäischen Föderation. Ein Aufenthalt ohne Atemschutzmasken kann den Tod bedeuten ...

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Louann Marino ist die Neue im Morddezernat der Sektion 3. Sieben Jahre arbeitete sie als Officer in Oyten, einer südlichen Enklave von Hanseapolis. In der Hauptsache hatte sie es mit Einbrüchen zu tun, bis sie die Langeweile zwang, nach einer wirklichen Herausforderung zu suchen. Seit vier Wochen ist sie nun in Sektion 3, doch einen richtigen Fall hatte man ihr noch nicht zugeteilt. Stattdessen stehen beispielsweise Vernehmungen auf dem Programm, die im Prinzip gar nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fallen. Die oberen Etagen wollen aus bestimmten Gründen mit größeren Aufgaben warten, bis Elias Kosloff, ihr neuer Partner zurückkehrt. Das erste Zusammentreffen gestaltet sich sehr unerfreulich, denn Elias kann sich mit einer Zusammenarbeit mit der ihm zugewiesenen "Göre" nicht anfreunden. Eine Beschwerde bei seinem unmittelbaren Vorgesetzten verpufft jedoch ohne Wirkung, denn die Anweisungen kämen von ganz oben. Dennoch denkt Elias gar nicht daran, seine neue Kollegin freundlich zu empfangen und setzt gleich zu Beginn den Grundstein für künftige Komplikationen: "Wir spielen nach meinen Regeln, Marino. Tu einfach, was ich dir sage, dann kommen wir beide prima miteinander aus."

Wie das funktioniert, zeigt sich gleich beim ersten Mordfall. Jenseits der großen Mauer wird eine schrecklich verstümmelte Frauenleiche gefunden. Jetzt wird es ernst ...

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Miriam Pharos spektakulärer Debutroman strotzt nur so vor Ideen. Die Handlung ist energiegeladen und baut einen großartigen Spannungsbogen auf. Wir sehen staunend durch das Fenster, welches die Autorin geschaffen hat, um uns einen glasklaren Blick in die nähere Zukunft zu ermöglichen. Hierbei vergisst sie gesellschaftliche Strukturen ebenso wenig wie technische Details, denn nebenbei erfahren wir, was "Thermotrop Fenster", "S3-Implantate", eine "Wall-Flax", "Nanorouge", "Nanobots", ein "MEC-549", ein "Getränke Replikator" oder ein "Defroisseur" sind. Ebenfalls wird an dieser Stelle nicht verraten, wie ein "TacSuit" funktioniert, wozu man eine "Raupe" benötigt, wo man einen "Camino FL8" einsetzen kann, wer eine "NIP" ist oder welche ganz außergewöhnlichen Eigenschaften "Dura-Liquid" besitzt.

Man könnte durchaus die vorhandene Schublade "Zukunftsthriller" in "Utopisch-technischer-Kriminalroman" erweitern. Die beiden Episoden "Das rote Pendel" und "Das Attentat" habe ich in einem Durchgang gelesen. Der sorgsam ausgefeilte Text erzeugt einen Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann. Erfreulich, dass in "Sektion 3 | Hanseapolis" das letzte Wort noch lange nicht gesprochen bzw. geschrieben ist. Im Mai 2010 dürfen wir uns auf den zweiten Teil freuen ...

 

Thomas Lawall - April 2010

 

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