Literatur

Schlaf, Engelchen, schlaf
Ein Fall für Alexander Gerlach


von Wolfgang Burger


416 Seiten
© Piper Verlag GmbH München/Berlin 2016
www.piper.de
ISBN 978-3-492-06030-1



Kripochef Alexander Gerlach ist krankgeschrieben. "Bis auf Weiteres." Sein Hausarzt riet zu einer Traumatherapie, was keine besonders gute Idee war. Gerlach stieg bereits nach dem ersten Behandlungstermin aus, da ihm die Therapeutin auf die Nerven ging. Gespielte Geduld ist nichts für ihn und "weltumspannendes Verständnis für alles und jeden" schon gar nicht.

Jene Vorfälle, die zu seiner Schnittwunde am Hals führten, sollten aufgearbeitet und nicht verdrängt werden. Allerdings gibt es aktuell viel Interessanteres, was ihn nicht nur ablenkt, sondern neuen Lebensmut und Energie gibt. Zum Beispiel die anregende Diskussion mit seinen beiden 17jährigen Töchtern, die sich nichts sehnlicher wünschen als eine sündhaft teure Fernreise in sonnige Gefilde, das Projekt "Sommerferien, ganz weit weg".

Demgegenüber steht sein Wunsch, nach Portugal zu reisen, um seinen 73jährigen Vater und dessen 20 Jahre jüngere Geliebte zu besuchen. Begeistert sind Sarah und Louise aber weniger, zumal ein Urlaub bei Opa kein solcher wäre.

Aufregendes gibt es auch bei und mit seiner eigenen Liebsten, denn in deren privatem Bereich gibt es einen unerwarteten Todesfall, der die Karten irgendwie neu zu mischen scheint, was auch gravierende Auswirkungen auf die beruflichen Strukturen nach sich zieht.

Selbstverständlich taucht so ganz nebenbei auch ein neuer Fall auf. Zunächst geht dem Kripochef das Gehabe sowie das Anliegen eines gewissen Jan-Armin Henecka gegen den Strich, doch im Laufe seiner inoffiziellen Ermittlungen, die er trotz aller anfänglichen Gegenwehr einleitet, macht ihn die Sache neugierig. Er spürt frischen Wind in seiner Ermittlerseele, wobei er zunächst nicht ahnt, auf was er sich nun tatsächlich einlässt ...

Erstaunlich ungewohnt ist der erste Eindruck, der den Roman seltsam glatt geschliffen und unspektakulär erscheinen lässt. Die altbekannten Figuren agieren im gewohnten Rahmen. Alles ist irgendwie beim Alten und doch baut sich neben den zu Beginn noch marginalen Änderungen im weiteren Verlauf das eine oder andere Überraschungsmoment auf.

Zudem steckt die Würze im Detail. Sehr spannend ist die gute alte Ermittlungsarbeit am Telefon, eine akribische Millimeterarbeit, die oft genug nach dem Motto "ein Schritt vorwärts und zwei zurück" funktioniert, den heutigen digitalen Möglichkeiten aber nicht selten voraus ist.

Achtlos vorbeilesen sollte man auch nicht an Metaphern, die sich beispielsweise mit dem Erinnerungsvermögen von Gebäuden und deren Mauern beschäftigen oder an spitzfindigen Charakterisierungen, die einer bestimmten Person "gehässiges Mitleid" bescheinigen, sowie an vereinzelten, aber ausdruckstarken Ausflügen in die Vulgärsprache.

Dem lädierten Heidelberger Kripochef begegnen während seiner aktionsreichen Solo-Tour durch die Untiefen menschlicher Missverständnisse und dem Dschungel aus Unausgesprochenem auch eindrucksvoll gezeichnete Nebenfiguren. Jene Inga Voss beispielsweise, diese "vom Leben für nichts bestrafte Frau".

Es gibt solche und solche Krimis. Und genau solche schreibt Wolfgang Burger. Die anderen schreiben auch solche, aber eben nicht solche wie der Herr Burger!

 

Thomas Lawall - Dezember 2016

 

 

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