Literatur

Schäfers Qualen

von Georg Haderer


270 Seiten
3.Auflage
© 2009 HAYMON Verlag Innsbruck-Wien
www.haymonverlag.at
www.georghaderer.com
ISBN 978-3-85218-598-9



Zwei Arbeiter warten bereits bei einem Kompressor mit ihren Presslufthämmern, als Schäfer die Erlaubnis erteilt, den Toten freizulegen. Kaum in Kitzbühel angekommen, geschieht der zweite Mord. Walter Krassnitzer, Inhaber einer Baufirma, fand ein außerordentlich unschönes Ende. Er war mit dem Steiner Simon, dem ersten Opfer, den sie auf dem Karstein ans Gipelkreuz gehängt haben, gut bekannt. Noch ein Unternehmer weniger, und es scheint klar zu sein, dass hier gewisse Zusammenhänge bestehen und fürs Erste zufällige oder spontane Taten ausgeschlosen werden können. Das dritte Opfer, der Autohändler Horst Gasser, lässt nicht lange auf sich warten, und hier macht Schäfer am Tatort eine nicht unbrisante Entdeckung, die ihm schier die sprichwörtlichen "Schuhe" auszieht. Die schwarzen Slipper von Gasser stehen oben im Turm, doch als er unten unsanft ankam, trug er andere! Doch auch er soll nicht das letzte Opfer gewesen sein ...

Bei einer feucht-fröhlichen Zechtour brachte Schäfer zuvor in Erfahrung, dass es wohl endlich einmal die richtigen erwischt hätte, denn schon was die beiden ersten Opfer so an Dreck am Stecken gehabt hätten, ginge nicht einmal auf die Haut von "überzüchteten Rindern". Sie wären immer dabei gewesen, wenn es irgendwo etwas zu holen gegeben hätte. Da gab es schon mal einen Selbstmord, weil der Krassnitzer dem Obernauer das Haus weggenommen habe.

Schäfer tappt im Dunkeln, zumal er sich in seiner alten Heimat nicht unbedingt wohl fühlt. Von seinem Chef, Oberst Kamp, von Wien zu den Tiroler Kollegen nach Kitzbühel beordert, spürt er die Last vergangener Tage, die ihn immer wieder leicht aus der Spur bringt. Er erinnert sich z.B. an den deutschen Studienkollegen, der den Tiroler an sich vor dem Hintergrund der steilen Gebirgswände, die ihn seit eh und je umgeben, als "beschützt und beschränkt" charakterisierte, und wie er dem Berliner zwecks Bestätigung dessen Meinung ein volles Glas Bier ins Gesicht geschüttet hatte. Wütend war er damals, rücksichtslos und dumm, und er schämt sich heute dafür.

Auch findet er ohne Mühe seinen alten Schulweg wieder, dort wo er im Herbst durch Berge von Ahornblättern gerannt ist. In der Gegenwart sind es jedoch seine Erinnerungen, durch die er jetzt springt, und überall nimmt er Streiflichter vergangener Tage wahr, ob es nun die selbstgebastelten Feuerwerksknaller waren, die er mit seinem Bruder auf die Forellen im Teich geworfen hatte oder jene Bank, wo er einst mit Maria gesessen hatte. Er erinnert sich an die ersten Berührungen und Zärtlichkeiten und fragt sich, warum alles zerbrechen musste. Welchen Grund nur mochte es gehabt haben, dass er alles kaputt machen musste ...

All das sah er bereits kommen, als er noch im Zug - aus Wien kommend - saß, denn der Duft der alten Tage kam bedrohlich näher und er wog noch immer schwer. Und während er auf seinem Laptop noch die Ermittlungsakten des ersten Falles durchging, formierten sich erste Puzzleteile vor seinem geistigen Auge, die es noch zu präzisieren galt. Vergangenheit und Realität sind strikt zu trennen, aber Schäfer hatte alle Mühe damit. Fest stand für ihn jedoch schon nach dem ersten Mord, dass dies eine Tat gewesen sein musste, die nicht der Zufall diktiert hatte, sondern zu jenen Verbrechen gehört, die von langer Hand geplant wurden. Es reichte dem Möder nicht, einen "Menschen bloß abzuschaffen", sondern die Tat wurde mit viel Mühe und Leidenschaft geradezu inszeniert - wohl von einem, der "Gerechtigkeit spielt".

Dies wiederum beunruhigte Schäfer über jedes Maß, denn es gibt ja "genügend Ungerechte" sowie "Irre und Gierige" in der Stadt, weshalb weitere Verbrechen fast zwangsläufig folgen müssten. Bereits diese erste Einschätzung traf ins Schwarze, denn Schäfer war ja noch nicht einmal in Kitzbühel angekommen, als der zweite Mord schon Geschichte war ...

Schäfer ist anders. Ganz anders. Vielleicht einer der letzten Helden - allerdings der wenig angepassten Sorte! Georg Haderer hat in seinem furiosen Krimi-Debut eine Figur entwickelt, die uns zutiefst menschlich erscheint. Er kann traurig sein, ja schier verzweifeln, hat Versagensängste, hat manchmal Lust, alles kurz und klein zu schlagen, und er macht Fehler. Er kommt uns bekannt vor. Es muss diesen Schäfer irgendwo geben. Der ist nicht erfunden, der läuft irgendwo herum. So viel ist sicher. Und er ist keiner, der seine Fälle mit gezogenem Revolver löst. Im Gegenteil, denn er lässt seine Glock lieber im Wandtresor, denn so ist er "einstweilen vor ihr sicher".

Einen Vergleich mit anderen Autoren kann und muss ich mir ersparen, denn er ist überflüssig. Seine Sprache ist detailreich und ausgefeilt bis zur letzten Silbe und sein Humor vielgestaltig - ob es nur Schäfers drollige Selbstgespräche sind, irrwitzige Telefondialoge oder brachiale Vergleiche ... wobei die von Pfarrer Danninger noch harmlos sind!
Ebenso sinnlos wäre es, den Major Schäfer mit anderen Figuren zu vergleichen, beispielsweise mit Wieningers Marek Miert, bloß weil der ebenfalls aus Österreich kommt. Schäfer ist eigenständig und nicht reproduzierbar. Es wütet ein Ungeheuer in ihm. Sein Verstand kämpft mit seiner Emotionalität. Der geniale Ermittler zweifelt an sich selbst und verzweifelt fast an dem, was war, was er tat und was ihn prägte. Doch diese scheinbare Zerbrechlichkeit ist vielleicht der Schlüssel für seine verblüffende Kombinationsgabe, seine außergewöhnliche Intuition und seine Ermittlungsmethoden, die so gar nichts Methodisches haben. Für den Leser ist es ein Glück dabei zu sein, wenn es in Schäfers Kopf zu rühren beginnt. Georg Haderer bemüht hier den Vergleich mit dem Inhalt eines Kochtopfs, der auf einer Herdplatte ganz hinten im allerletzten Winkel des Ermittlerhirns auf kleiner Flamme behutsam erwärmt wird: Es ensteht das "erste Aroma einer Ahnung"!

Schön, mit diesem Eigenbrötler ein Stück des Weges gehen zu dürfen ... und ein herausragendes Krimi-Debut nicht verpasst zu haben!

 

Thomas Lawall - August 2010

 

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