Literatur

Schade um die Lebenden

von Jacqueline Gillespie


192 Seiten
© Haymon Taschenbuch, Innsbruck-Wien 2013
www.haymonverlag.at
ISBN 978-3-85218-918-5



Für den Bachhuber ist Heu zusammenrechen eher eine "Weibersache". Doch die Wiese ist für seine Frau inzwischen zu steil, weshalb er ungern selbst Hand anlegen muss. Entsprechend schlecht gelaunt begegnet er dem Singer-Simon. Der örtliche Gendarm und passionierte Jäger ist auf dem Weg zur Abendpirsch. Die Anfrage, ob er denn Bier oder Schnaps in seinem Rucksack mitführen würde, muss der Simon verneinen, was die Laune Bachhubers nicht gerade verbessert. Eine unmögliche Situation: "Nichts zu trinken und trotzdem arbeiten müssen."

Seine Befindlichkeiten steigern sich in die üblichen Hasstiraden über die momentanen politischen Zustände und gipfeln in rechtsradikalen Irrwegen und schließlich in der Aussage, wer an allem schuld sei: "Der Jud!" Man könne eh keinen sehen, der einmal etwas arbeiten würde. Der Simon hört sich das Geschwätz unkommentiert an, und setzt, selbst nicht gerade gut beinander, seinen Weg fort. Im Nachhinein tut es ihm aber leid, dass er dem Bachhuber keine "getuscht" hat, denn eine Ohrfeige hätte er sich wahrlich verdient.

Die hat der Bachhuber dann doch noch bekommen  aber bei einer anderen Gelegenheit. Im Neiselbacher Herrenhaus, wo die Familie von Schwarz schon seit über hundert Jahren lebt, ist ein Fest angesagt. Die zweite Frau von Eduard von Schwarz, die "Frau Schalott", beliebt es, ihren Geburtstag zu feiern. Die Bekannten und Freunde aus Wien sind ebenso eingeladen wie die Dorfgemeinschaft. In Neidelbach macht man das seit eh und je, egal ob es sich um eine Hochzeit oder eine Beerdigung handelt. Man geht eben hin, "das ist so Brauch und was Schönes, da trifft man Leut und kann sich unterhalten."

Doch dieses Mal passiert etwas Außergewöhnliches. An der Schnapsbude macht sich schon seit einiger Zeit der Bachhuber zu schaffen. Wieviel er schon intus hat, weiß keiner so genau, wahrscheinlich nicht einmal er selbst. Noch lallt er Unverständliches, und hört mit dem Trinken nicht auf. Nach einem Tanz mit einem Kavalier wird die Frau Schalott zur Schnapsbude geführt. Bachhuber versucht, sein Benehmen entsprechend zu korrigieren, steht auf und prostet ihr höflich zu. Sogleich fährt er aber mit seinen Ausführungen fort und beschuldigt wieder diejenigen, die immer an allem schuld sind. Die Frau Schalott zeigt etwas mehr Courage als der Gendarm und verpasst ihm eine ordentliche Ohrfeige ...

Etwas muss man schon warten, bis es sich herausstellt, tatsächlich einen Kriminalroman in Händen zu halten. Natürlich muss ein Mord geschehen - das notwendige Übel in diesem Genre. Und bei einem wird es auch nicht bleiben. Jacqueline Gillespie zieht es aber vor, den Leser zunächst in das dörfliche Leben der (fiktiven) Ortschaft Neiselbach, am Fuß des Schneebergs in Niederösterreich gelegen, einzuführen, und das tut sie auf ebenso eindringliche wie pointierte Weise.

Hochkarätig besetzt sind die Rollen der Herren Singer, seinem Kollegen Müller, Kriminalinspektor aus Wien, der nicht nur gerne seinen Vornamen unterschlägt, sondern auch sonst ein eher unkonventioneller Zeitgenosse ist, sowie der Herr Dr. Sandor, dem stets korrekten Polizeijuristen, ebenfalls aus Wien. Alle drei haben sie aber etwas gemeinsam: Sie werden sich mit Nebenrollen begnügen müssen ...

Großen Wert legt die Autorin auf die sprachliche Gestaltung, wie sie in der Region unweit von Wien Usus ist, und die sich im Satzbau sehr originell von anderen Ausdrucksweisen unterscheidet. Hierzu bedient sie sich in der ersten Erzählperspektive einer der Dorfältesten, die ihren Namen erst ganz am Ende des Romans mehr oder weniger beiläufig verrät. Bezeichnend sind für ihre Art sich auszudrücken beispielsweise das "No" am Satzbeginn, Formulierungen wie "Tun sie mir die Lieb", "das junge Mensch", "ein Schüppel Gerät" oder die erstaunliche Erkenntnis "Geschmäcker und Watschen sind verschieden".

Hilfreich ist in diesem Zusammenhang auch das Glossar, welches dem erstaunten Leser die eine oder andere Übersetzungshilfe bietet. Die zweite Erzählperspektive überlässt sie einem imaginären Beobachter, der sich dann ungleich gewählter auszudrücken pflegt, was insbesondere in der Verwendung gepflegter Adjektive einen sehr interessanten Kontrast zur eher urwüchsigen Erzählweise der heimlichen Hauptperson darstellt!

"Schade um die Lebenden" ist nicht nur ein spannender Regionalkrimi, sondern ein ganz großes Vergnügen! Man möchte das Buch gar nicht mehr aus der Hand nehmen, doch es scheint einen Lichtblick zu geben. Offenbar bildet das Werk den Auftakt zu einer Serie rund um die Schneeberger Version einer gewissen Miss Marple. Es wäre auch sehr schade gewesen, wenn dieser auf eine sehr persönliche Art fast heimelig, in jedem Fall aber auf eine liebevolle Art sehr authentisch wirkende Kriminalroman der letzte seiner Art gewesen wäre. In diesem Sinne wünsche ich diesem Werk sehr viele Nachkommen!

 

Thomas Lawall - Mai 2013

 

 

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