Literatur

Sag mir, wo die Mädchen sind

von Leena Letholainen


348 S.
© 2012 by Rowohlt Verlag GmbH
Reinbek bei Hamburg
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-463-40607-7



Maria Kallio telefoniert mit ihrer Tochter Iida. Die 13-jährige weiß es bereits, dass die SMS, die sie bekommen hatte, der Wahrheit entspricht. Ihre Freundin Noor Ezfahani wurde ermordet. Laut den Angaben ihrer Eltern war sie wie immer gegen 15 Uhr aus der Schule gekommen. Nach dem Abendessen sei sie zu einem Spaziergang aufgebrochen und nicht mehr zurückgekehrt. Iida will sich nach der Schule mit einigen Freundinnen treffen, um nach dem Einkauf von Blumen und Kerzen, den Fundort der Leiche aufzusuchen. Ihre Mutter zeigt sich wenig begeistert, denn schließlich würden sie in dem zweifellos abgesperrten Gebiet die weiteren Ermittlungen erheblich stören.

Iida zeigt sich wenig beeindruckt und lässt von ihrem Vorhaben nicht ab. Maria Kallio lenkt ein und verspricht ihrer Tochter, sie an der Fundstelle abzuholen. Sie verlässt das Präsidium, läuft nach Hause und fährt mit ihrem Wagen sofort nach Olario, wo sie vor der Schule parkt. Sie folgt einem Trampelpfad, der zum Ort des Geschehens führt, wo die technischen Ermittlungen noch in vollem Gange sind. Zahlreiche Jugendliche haben sich vor der Absperrung versammelt, wo sie für die ermordete Noor bereits eine provisorische Gedenkstätte aus Kerzen und Blumen errichtet haben. Alle ringen um Fassung und schließlich muss Maria Kallio ihrer Tochter versprechen, dass sie das Verbrechen aufklären wird.

Ein Verdächtiger ist schnell gefunden. Die Familie des sechzehnjährigen Mordopfers beschuldigt einen Neunzehnjährigen, ihre Tochter belästigt zu haben. Tuomas Juhani Soivio wäre deshalb, laut Angaben der Familie Ezfahani, zweifellos der Mörder ihrer Tochter. Ihre Freundinnen sind anderer Ansicht. Die beiden wären ein glückliches Paar gewesen. Den Mörder solle man eher im Kreis der Familie suchen. Schließlich wisse ja jeder, welches Regiment bei ihr zu Hause geführt würde. Ohne Kopftuch über die Strasse zu laufen, wäre mit der Androhung von Prügel verbunden gewesen. Der schlimmste wäre Vetter Rahim, welcher bereits der Polizei wegen einiger Körperverletzungsdelikte bekannt wäre.

Oberkommissarin Maria Kallio, die im Rahmen einer Organisationsreform bei der Espooer Polizei als "Kommissarin der Einheit für untypische Fälle" eingesetzt ist, hat sich nicht nur mit dem Mord an der jungen Noor Ezfahani zu beschäftigen sondern auch noch mit drei verschwundenen Mädchen. Aziza Abdi Hasan, eine Siebzehnjährige aus Afghanistan, Sara Amir, eine vierzehnjährige bosnische Muslima und Ayan Ali Jussuf aus dem Sudan, achtzehn Jahre alt. Ein Zusammenhang drängt sich auf, der zunächst in falsche Richtungen führt ...

Der etwas eigenwillige Erzählstil der finnischen Autorin stellt die eine oder andere Hürde auf, die es geduldig und mit einiger Ausdauer zu überwinden gilt. Mitunter bleibt in den ersten Kapiteln auch der Eindruck einer merkwürdig farblosen Sprache und etwas holprig formulierte Rückblenden nicht unbemerkt, was den Rezensenten dreimal dazu bewog, die Lektüre abzubrechen. Doch "Sag mir, wo die Mädchen sind" gehört zu jenen Werken, die sich solch ein Ungemach nicht gefallen lassen und sich, auf welchen Wegen auch immer, stets wieder im Gedächtnis zurückmelden und darauf bestehen, es doch gefälligst noch einmal zu versuchen. Im vierten Anlauf habe ich dem Drängen nicht nur nachgegeben, sondern auch das Buch nicht mehr aus den Händen legen können.

Was dennoch bleibt, ist Leena Letholainens teils sehr sachlich formulierter Erzählstil, der mitunter fast amtliche Formulierungen nicht auslässt, andererseits aber zuweilen mit einem ausgesprochen trockenen Humor überrascht. Dieser kommt dann wahrlich so unerwartet, dass er beinahe etwas aufgesetzt wirkt. Das muss wohl die finnische Art des Erzählens sein, was dieses Buch zweifellos zu etwas Besonderem erhebt, insbesondere wenn Maria Kallios zehnter Fall für den Rezensenten den ersten bedeutet. Dennoch teile ich eine von "Frau Ezfahanis" Eigenschaften, zumindest was deren Namensgedächtnis betrifft und welches mich zu begleitenden Notizen nötigte: "Finnisch Name schwierig. Bleibt nicht in Kopf."

"Sag mir, wo die Mädchen sind" dann insgesamt schon. Der sehr feinfühlige Blick auf die Gesamtproblematik der Integration und deren mannigfaltige Schattierungen verleihen dem Roman eine ganze Reihe aktueller Bezüge. Neben der Berücksichtigung ganz spezieller Sichtweisen von Menschen aus aller Herren Länder, wo im Zusammenleben untereinander sowie mit der finnischen Bevölkerung mitunter Welten aufeinanderprallen, bleibt das Buch dennoch ein Kriminalroman. Erfreulicherweise nicht von der alltäglichen Sorte. Leicht unterkühlt - aber von einer erfrischenden Prägnanz.

 

Thomas Lawall - Februar 2013

 

 

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