Literatur

Schrecklich amüsant
- aber in Zukunft ohne mich


von David Foster Wallace


186 Seiten
5. Auflage 2004
Verlag Kiepenhauer & Witsch, Köln 2004
© der deutschen Ausgabe 2002 by marebuchverlag, Hamburg
ISBN 3-462-03388-3


Die Zukunft muss tatsächlich ohne ein weiteres Genie auskommen. Nachdem sich David Foster Wallace im September 2008 das Leben nahm, steht für mich die Lektüre seines Reiseberichts "Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich" unter keinem sehr guten Stern - zumal dies mein erster Foster ist. Der Rezensent kann nach dem Freitod des Autors die Lektüre nicht unbeeinflusst und unvoreingenommen verfolgen. Der real existierende Zynismus eines Begnadeten würde weit mehr als den Hauch eines wahren Lesegenusses versprechen, wäre dieser scharfsinnige Lebens-Beobachter noch am Leben.

Viel zu oft lassen sich, mal zwischen den Zeilen, mal überdeutlich, überzogen negative Sichtweisen sowie der Hang zur Selbstzerstörung ohne jeden Zweifel herauslesen. Bereits auf Seite 18 nötigt Foster uns zu der zweifelhaften Erkenntnis, dass Kreuzfahrten generell etwas "unerträglich Trauriges umgibt". Eine derartige Pauschalisierung ist nicht intelligent, denn nicht wenige Zeitgenossen sehen dies völlig anders. Doch damit nicht genug, denn der Autor steigert sich in Verzweiflung, die er als Todessehnsucht definiert, "verbunden mit dem vernichtenden Gefühl der eigenen Bedeutungslosigkeit", hinter welcher er wiederum ein Versteck der Angst vor dem Sterben vermutet. Nun ja, spätestens an dieser Stelle mag ich, zumindest auf diesem Schiff, nicht mehr weiterfahren.

Schließlich entschied ich mich, doch an Bord zu bleiben, denn lieber auf hoher See als im eigenen Selbstmitleid ersaufen. Ich sollte es nicht bereuen, denn letztlich überwiegt die literarische Qualität und das wahre Vergnügen, eine Reise aus einer kritischen Distanz heraus zu erleben. Wallace schreibt den Massentourismus auf hoher See und die damit verbundenen Szenarien an Bord der schwimmenden Vergnügungspaläste in Grund und Boden. Sein beißender Zynismus und seine detailreiche Beobachtungsgabe lassen uns das Diktat dieser gigantischen Verwöhnmaschinerie fast räumlich erfassbar erscheinen. Leider kann man auch hier den einen oder anderen Ausrutscher vermelden. Obwohl er selbst mit dem Vergleich nicht glücklich ist, meint er schreiben zu müssen, das "massenhafte, ängstliche Warten" an den Piers hätte etwas von Auschwitz. Hier driftet sein Zynismus ins Pathologische. Seltsam auch die Feststellung, dass für ihn der Ozean stets mit "Grauen und Tod" gleichzusetzen ist ...

Der Lesefluss wird noch durch eine weitere Tatsache teils erheblich gestört, denn 136 Fußnoten auf nur 186 Seiten sind dann wirklich zu viel des Guten, zumal einige detaillierte Ausführungen bis zu fünf Seiten umfassen!

Dennoch kann ich nur die höchste Bewertung abgeben, denn trotz aller Vorbehalte bleibt das Lesevergnügen nahezu ungetrübt, wobei ich mir hier jetzt widerspreche (s.o.), was gelegentlich vorkommt. Wenn sich ein kopflastiger Literaturkardinal auf einen Vergnügungsdampfer begibt, bleibt letztlich kein Auge trocken. Herrlich z.B. der Querschläger in Richtung der Über-Fünfzigjährigen, "denen die eigene Hinfälligkeit kein abstrakter Begriff mehr ist" oder die Forschungsarbeiten des Autors, was das Rätsel des unsichtbaren Zimmerservices betrifft. Nach einer ausgiebigen Testreihe war nämlich klar, dass die Kabine nach 29 Minuten Abwesenheit nicht in Ordnung gebracht, sehr wohl aber nach 31 Minuten Abwesenheit jeweils wieder auf Hochglanz gebracht wurde. Wallace entdeckte keinerlei Lichtschranken und/oder Kameras, so dass er dieses Rätsel zu lösen nicht imstande war. Ansonsten wird die "Nadir", ein 250 Millionen Dollar schweres Kreuzfahrtschiff, bis ins kleinste Kabinendetail beschrieben, wenn auch dem Autor aufgrund einiger ebenso vorlauten wie amüsanten Bemerkungen, die ich dem potentiellen Leser bewusst vorenthalten will, nicht überall Zugang gewährt wurde! Vielleicht findet er deswegen das Schiff auch nur "hübsch" und nicht "schön", denn das wäre ein Unterschied, wie er sagt ...

Würde man das genossene literarische Vergnügen einseitig bewerten und verinnerlichen, käme für den jeweiligen Leser eine Kreuzfahrt wohl nie mehr in Betracht. Für mich selbst darf ich bekunden, dass selbstverständlich auch mich die Rückenflosse des Todes umkreist. Diese Tatsache vermag ich aber nicht mit einer albernen Schiffsreise in Verbindung zu bringen und wo Wallace Grauen und Tod sieht, sehe ich die Wiege des Lebens.

Zwar hat mein Traum einer Karibiktour einige deftige Schrammen erhalten, letztlich aber das Haus meiner gesammelten Träume längst nicht verlassen. Ganz im Gegenteil. Allein die "schnieke Besatzung", "unermüdliche Service-Knechte", "Handtuch-Fachkräfte" oder "beflissene Fun-Manager" ganz bewusst zu beobachten, wäre mir ein absoluter Hochgenuss ...

 

Thomas Lawall - Dezember 2009

 

 

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