Peter kommt später
von Thomas Raab
336 Seiten © 2023, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln www.kiwi-verlag.de ISBN 978-3-462-00206-5
Schon nach den ersten Zeilen kommt das große Bedauern. Nämlich jenes, welches man so oft und so schmerzhaft im Leben immer wieder durchleben und verkraften muss. Das Bedauern, etwas verpasst zu haben. "Peter kommt später" ist der dritte Teil einer Serie. Nicht dass Thomas Raab dem Rezensenten ein Unbekannter wäre, schon gar nicht jener "Metzger". Ganz im Gegenteil, aber die "Frau Huber" hat bislang unbemerkt an ihm vorbei ermittelt.
Vorbei sind ebenfalls die goldenen Zeiten und Zeichen wahrer Elitisierung. Man konnte sie nicht nur vordergründig bestaunen und bewundern, nein, sogar von weitem riechen. Geachtet war man damals, in jenen "herrlich naturbelassenen Zeiten", und der Größte, wenn man den größten Misthaufen im Dorf besaß. Ein unüberriechbares Zeichen von Wohlstand: "Scheiße als Statussymbol quasi."
Auch der Dorffrieden war gestern. Schroffes Gestein und Wildromantik sind nur noch Kulisse, denn im abgelegenen "Glaubenthal" ist der sprichwörtliche Teufel los. Und dieser kommt in jenem Dörflein auf ganz besonders leisen Sohlen. Wenn sich da nicht ein monumentaler Fels, äh, eine monumentale Felsin, dem schändlichen Treiben in den Weg stellen würde.
Hannelore Huber, auch "die alte Huber" genannt, selbst vom Leben bitter gezeichnet, muss mit ihren knapp 75 Jahren so manche körperliche Hürde nehmen, geistig kann sie aber immer noch bestens mithalten. Im direkten Vergleich mit der durchwachsenen, ländlichen Polizeigewalt siegt sie noch immer um Längen.
So auch im aktuellen Fall um den Mord an der alten Brucknerwirtin, der Mutter des Dorfwirts und neuen Bürgermeisters Toni Bruckner, die nicht "an", sondern "in" ihrem Abendessen, einem Kaiserschmarrn", erstickt zu sein scheint. Ob das Verbrechen und der Wahlausgang wohl in irgendeinem Zusammenhang stehen? Viel Raum für Theorien bleibt nicht, denn das nächste Opfer ist die mit 99 Jahren Dorfälteste. Für Hannelore Huber bedeutet ihr Tod den Zusammenbruch einer ganzen Welt von Erinnerungen, die sie mit "Tante Herta" und dem "Wohlmuthsederhof" verbindet.
Was dies alles mit dem schönsten Bäcker der Gegend zu tun hat, muss sich noch herausstellen. Der kinnlang blondgelockte Peter Pointer, Bäckermeister und "Bread Pitt" genannt, lässt sich zweimal pro Woche mit seinem fahrbaren Einkaufszentrum, dem "Kronberger-Bus", den die Einwohner:innen Glaubenthals in Ermangelung eines Gemischtwarenladens dringend benötigen, im Dorfzentrum sehen...
"Peter kommt später" ist weitaus mehr als ein Kriminalroman. Es kommt ein gerüttelt Maß an beißender Gesellschaftskritik, in Tateinheit mit einem expressiven Adjektivismus, mit in die Waagschale und ein massiv verstaubtes Sittengemälde ist diese Geschichte sowieso. Der ebenso unbequeme wie kratzbürstige Humor des Autors, dem stets der literarische Schalk im Nacken sitzt, weiß zu provozieren, aber gleichermaßen herrlichst zu unterhalten.
Das kann etwas anstrengend sein und sich mitunter etwas unübersichtlich gestalten, was im Abgang aber nur marginal stört. Ganz im Gegenteil, denn jene Nachhaltigkeit verlängert das Lesevergnügen nicht unbeträchtlich. Fazit: Ein Kriminalroman der abgefahrenen Art, angereichert mit skurrilen Persönlichkeiten, schräger Situationskomik und einer insgesamt beunruhigenden Gesamtsituation.
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