Literatur

Ohne Titel

von Nicholas Grünke


304 Seiten
©2015 By Rowohlt Verlag GmbH
www.rororo.de
ISBN 978-3-499-62899-3



Der rote Punkt auf dem Buchcover ist ein "Damien". Sie wissen nicht, was ein Damien ist? Dann haben Sie keine Ahnung von der Kunstwelt und ihren ganz speziellen Spielregeln. Wahrscheinlich haben Sie auch von Damien Hirst noch nie etwas gehört. Jenem britischen Bildhauer, Maler und Konzeptkünstler, der diesem Punkt einst seinen Namen gab.

Viele Werke werden bereits vor den jeweiligen Ausstellungen in sog. "Privatkonsultationen" verkauft. Jene müssen dann bei der Vernissage mit einem kleinen roten Punkt gekennzeichnet werden. Doch nicht immer geht dies mit rechten Dingen zu, denn es gibt auch Beispiele für "inszenierte Wertsteigerungen". Damien Hirst kaufte 2007 mittels einer Investorengruppe sein eigenes Kunstwerk, einen mit Diamanten besetzten Totenschädel, für 77 Millionen Euro. Dies war die Geburtsstunde des Begriffs "Damien", der dafür stand und weiterhin steht, ob das derart ausgezeichnete Werk vielleicht nur aus "strategischen Gründen" gepunktet ist.

Bei der "Art Basel Miami Beach" handelt es sich um den "sonnigen, dekadenten Ableger der Schweizer Kunstmesse". Auch wenn man im Dezember, aus der ungemütlichen Witterung in Europa kommend, bei der Ankunft in Miami den Eindruck gewinnt, sich in einer "Wohlfühltherapie" zu befinden, verliert der Autor den Gesamtüberblick nicht. So wie der Taxifahrer, der "einen auf Gangster" machte, kam ihm die ganze Stadt vor. Irgendwie unecht und so, "als ob ein riesiges Gerät sie und ihre Menschen laminiert hätte". Am Strand der Catwalk für Superreiche und solche, die es gerne wären, oder überhaupt für alle Paradiesvögel, die Aufmerksamkeit um jeden Preis und in höheren Dosen benötigen. Sie haben sogar alle etwas gemeinsam: Ein "frittiertes Hirn", dank immerwährender Sonneneinstrahlung.

Nicholas Grünke stellt uns eine Welt vor, in welche man nicht so ohne weiteres hineinfindet oder sogar direkten Zugang erhält. Dies ist nur über besondere Kontakte möglich, oder über Geld. Wer Teures kauft, erwirbt sich gleichzeitig die Zugangsdaten für die "Familie". Und wer dies über viele Jahre tut, wird selbst zur Familie. Kaum investiert man eine entsprechende Summe in Kunst, spricht sich das in der Szene herum, und schon hagelt es Einladungen zu allen möglichen Events. Ein Schelm wer dabei denkt, dass sich Freundschaften erkaufen lassen.

Sie glauben das alles nicht? Dann sollten Sie einen Blick in "Ohne Titel" wagen, denn das, was der Rezensent hier aufzählt, ist nur die Spitze des Eisberges. Als Kunst- und Projektmanager zieht Nicholas Grünke alle Register und reiht eine Episode nach der anderen aus seinen Begegnungen und wahrhaftigen Abenteuern in der Kunstwelt aneinander. Es sind nicht nur die dekadenten Auswüchse rund um Ausstellungen und Events, sondern auch und insbesondere die praktischen Konsequenzen. Mit dem Verkauf diverser Kunstobjekte und Installationen ist es ja nicht getan, denn nun muss es ja auch zum jeweiligen Käufer gebracht und aufgebaut werden, was sich mitunter recht chaotisch gestaltet.

Ein Buch zum Staunen, Kopfschütteln und noch viel mehr. Eine gute Portion Allgemeinwissen zum Thema wird ebenfalls vermittelt, oder wissen Sie zum Beispiel wer Cindy Sherman, Banksy, Sarah Lucas, Daniele Buetti, Ai Weiwei, Laura Keeble, Cildo Meireles, Erwin Olaf, Santu Mofokeng, Vanessa Beecroft oder Anish Kapoor sind? Nein? Dann wird es Zeit, diese "Bildungslücken" zu stopfen. Auch wenn der Autor am und um den Kunstbetrieb herum nicht gerade mit Kritik spart, weiß er mit einem relativierend-versöhnlichen Fazit zu überraschen.

Selbst für die eine oder andere Lebensweisheit oder Nachhilfestunde in Sachen Kulturgeschichte nimmt sich Nicholas Grünke Zeit. Wie überaus aufschlussreich ist es doch zu erfahren, dass eine Frau nicht unbedingt etwas tun muss, "um von einem Mann das zu bekommen, was sie will". Na ja gut, wenn ich es mir recht überlege, dürfte das Spiel mit den Möglichkeiten eigentlich jeder kennen.
Was man aber im 17. Jahrhundert mit einer einzigen Tulpenzwiebel in Amsterdam alles anstellen konnte, und wie dies im Zusammenhang mit einer durchaus pikanten Episode des Buches steht, sicherlich nicht.

 

Thomas Lawall - September 2015

 

 

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