Literatur

ÖL!

von Upton Sinclair


768 Seiten
© Upton Sinclair, 1926, 1927
© 2013 für die deutschsprachige Ausgabe
by Manesse Verlag, Zürich
www.randomhouse.de/manesse
ISBN: 978-3-7175-2254-6



Pachtmakler Skutt ist stolz, seinen Chef vorstellen zu dürfen. Auf Mr. J. Arnold Ross haben alle gewartet und jetzt steht er vor ihnen. Zu seiner Unterstützung ist Alston D. Prentice, der bekannte Rechtsanwalt aus Angel City, ebenfalls angereist. Die Voraussetzungen für die einberufene Versammlung sind aber alles andere als gut.

Einzelne Parzellen reichen für ein Bohrloch, doch um nicht Opfer von Spekulanten und Tauschgeschäften zu werden oder vom direkten Nachbarn das Öl weggepumpt zu bekommen, muss man sich mit anderen Grundstücksbesitzern zusammenschließen. Die großen Gesellschaften investieren nur in größere Grundstücke, die mit vielen Bohrlöchern bestückt werden können und wo sich die Auszahlung der Gewinnanteile lohnt und sich mehr oder weniger unkompliziert handhaben lässt.

Genau dies scheint jedoch in Beach City nicht möglich zu sein. Zwar schlossen sich die Eigentümer von 24 Parzellen zusammen, doch es gibt heftigen Streit, wie die Gewinnanteile in Verbindung mit der sehr unterschiedlichen Grundstücksgröße gerecht aufgeteilt werden können. Arnold Ross startet den Versuch einer Einigung, doch in den Menschen ist das "Feuer der Gier" entfacht. Weshalb den gewohnten Beschäftigungen nachgehen, wenn das ganz große Geld lockt ...

J. Arnold Ross ist durch halb Kalifornien gefahren. Mit an Bord nahm er seinen 13jährigen Sohn.  J. Arnold "Bunny" Ross junior ist (zunächst) nicht an eine Schule gebunden. Die entsprechenden Aufgaben übernimmt ein Hauslehrer. An den Reisen seines Vaters nimmt Bunny selbstverständlich teil, da er schließlich irgendwann einmal seinen Beruf erlernen soll. Die Sinne durch keinerlei geschäftlichen Pragmatismus getrübt oder beeinflusst, sieht er die Reise allerdings nicht mit den Augen seines Vaters. Für Bunny gestaltet sich die Fahrt als Abenteuer ...

... und für den Leser ebenfalls. Die Fahrt zu einem Geschäftstermin durch das Kalifornien der 20er Jahre gestaltete der Autor als überlange Einleitung, die für den Leser gleichsam eine Fahrt in die Geschichte bedeutet, die dieser Roman erzählen will. Upton Sinclair führt einen ausgedehnten Kameraschwenk durch, und neben Land und Leuten stellt er dem Leser zugleich die beiden Hauptpersonen vor: Vater und Sohn, noch in inniger Nähe verbunden. Das Vorbild und einer, der zu ihm aufschaut und ihn ohne Einschränkung bewundert: das ist wie der Einstieg in eine gewaltige Leinwand-Familien-Saga vergangener Tage, die sich in diesem Fall von 1913 bis 1924 abspielt.

Unterstützt wird dieser Eindruck von der ganz erstaunlichen Beobachtungsgabe Sinclairs. Ob der 1968 verstorbene Autor nun einfache Straßen beschreibt, weitere Nebensächlichkeiten wie "Gestrüpp, jetzt frisch im kurzen Frühlingsgrün", Kleingetier wie Heuschrecken, Hasen oder einen Krähenwürger, Wallnusshaine, "turmhohe dünne Eukalyptusbäume", Sinneseindrücke wie eine "weißbebänderte Orangenblütenstimmung" oder Menschen in ihrer ganzen Vielfalt und Gegensätzlichkeit - ein Paradebeispiel mag vielleicht Beschreibung und Charakterisierung von Annabelle Ames sein, jener Filmschauspielerin, die eines Tages als "Traumbild in zitronenfarbenem Chiffon" vor ihm steht - alles wirkt authentisch und interagiert in der Unkompliziertheit seiner Sprache fast wie ein natürliches Abbild greifbarer Bilder, zudem mit einer erstaunlichen Intensität und Nachhaltigkeit.

Dies mag die Zauberformel für ein Mammutprojekt wie "Öl" sein und eine Garantie, auf 768 Seiten nicht den Hauch von Langeweile aufkommen zu lassen. Die Handlung selbst ist zudem von einer Vehemenz, die es verbietet, das Buch in vernünftigen Zeitabständen immer wieder zur Hand zu nehmen und weiterzulesen. In die begonnene Aufzählung gehören auch zeitgeschichtliche Meilensteine, die eben mal so nebenbei einfließen wie zum Beispiel die Entdeckung eines "neuen Universums", auch Unterbewusstsein genannt, oder der Erfindung des Radios - einer "einseitigen Apparatur", die es ermöglicht, das "größte Sklavenreich der Geschichte" zu errichten".

"Öl" ist ein gewaltiges Familiendrama vor dem Hintergrund der sich anbahnenden Problematik zur Zeit der großen Ölbarone. Geschildert werden aber zuerst einmal nicht nur die Unsummen, die verdient werden können, sondern auch jene, die erst einmal investiert werden müssen. Auch hier zeichnete Upton Sinclair ein faszinierendes Bild, indem er sich in weiten Abschnitten des Romans mit hochinteressanten technischen Einzelheiten beschäftigt und ungeschönt darstellt, welche unfassbaren Mühen hinter der Suche nach Öl stecken und der Ausrüstung und Logistik, die erforderlich war, dieses zu fördern!

Weltpolitische Verstrickungen, die sich im ersten Weltkrieg ergeben und die Probleme danach, finden ebenfalls Raum, und natürlich die Wirren um die aufstrebende Arbeiterschaft und deren Organisation in verschiedenen Gewerkschaftsbewegungen, sowie deren gewalttätige Niederschlagung. Und spätestens hier trennen sich die Vorstellungen von J. Arnold Ross und seinem Sohn. Eine zentrale Rolle spielt in diesem Zusammenhang Paul Watkins, der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Sohn einer Familie, die auf einer heruntergekommenen Ranch lebt. Den dreizehnjährigen Bunny faszinieren das Ehrgefühl und die Bescheidenheit Pauls - ein erster Auslöser, die ihm bereits in jungen Jahren, wenn auch unbewusst, andere Denk- und Lebenswege aufzeigen.

Fortan entstehen gesellschaftliche und weltanschauliche Gräben und Bunny muss gründlich überdenken, ob er den Idealen seines Vater folgen kann und will, um später in seine Fußstapfen zu treten und sein Imperium weiterzuführen, oder ob er seinen Sympathien für die kleinen Leute nachgibt ...

Ein Epos um "Öl", welches die Welt für immer änderte, "das Feuer der Gier", Loyalität in der Familie, ein wechselhaftes Beziehungsgeflecht, Krieg und Frieden, die Illusion einer Weltregierung, "Kapital gegen Arbeit", die Frage, was kapitalistische Regierungen mit Demokratie zu tun haben, Korruption in ganz großem Stil, und der "ausgeklügelten Maschinerie zur Vernichtung von Gerechtigkeit und Freundlichkeit".   

Grandios!

 

Thomas Lawall - April 2013

 

 

Für Fragen, Kritik und Anregungen steht unser Forum zur Verfügung

Home News Literatur Gedichte Kunst Philosophie Schräg Musik Film Garten Küche Gästebuch Forum Links Impressum