Öffne deine Seele
von Stephan M. Rother
512 Seiten © 2013 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg www.rororo.de ISBN 978-3-499-25986-9
Der Umtrunk fällt aus. Die Rückkehr des Chefs sollte eigentlich gebührend gefeiert werden, doch in Anbetracht der gegebenen Umstände denkt niemand mehr daran. Es herrscht eher betretenes Schweigen, denn der neue Fall wird eine Menge Staub aufwirbeln. Nun gilt es erst einmal zu versuchen, vorerst nichts an die Presse weiterzugeben, denn diese wird sich über das gefundene Fressen stürzen und den Mordfall für eine ganze Flut von Schlagzeilen nutzen und entsprechend aufbereiten.
Im Besprechungsraum sind alle zuständigen Beamten anwesend und harren der Dinge, die man ihnen demnächst eröffnen wird. Kriminalhauptkommissar Jörg Albrecht weiß sehr genau, schon bevor er die Kollegen einweiht, dass seine Abteilung mit den acht Kollegen in diesem Fall hoffnungslos unterbesetzt ist. Seine Leute werden das sicher bestätigen, sobald sie jetzt den Namen des Opfers erfahren ...
Nach seiner Zwangspause lief für den Hauptkommissar die Zeit wie in einem Countdown ab. Kurz nach Mitternacht an jenem 24. Juni war es soweit. Bis zum offiziellen Dienstbeginn waren es jetzt nur noch knapp 8 Stunden. Die sechs Monate waren für ihn die Hölle gewesen. Er hatte Fehler gemacht, doch die Polizeipräsidentin verzichtete auf ein Disziplinarverfahren. Die Zeit im Sanatorium hatte er abgesessen und nun drängte es ihn, wieder zu beweisen, dass er noch der Alte war - ein Polizist mit Leib und Seele und wieder oder immer noch bereit, den Dingen auf den Grund zu gehen und die bedingungslose Wahrheit herauszufinden.
Es dauerte 17 Minuten, bis das Telefon klingelte. Kollegin Hannah Friedrichs wunderte sich, dass ihr Chef sofort den Hörer abnahm. Mitten in der Nacht. Doch Jörg Albrecht war bereit, die Rückkehr an seinen Arbeitsplatz sofort anzutreten. Selbst schon unterwegs nannte sie, den Vorschriften entsprechend, nur den Tatort. Ihr Chef machte sich ebenfalls sofort auf den Weg ...
Es herrscht Betroffenheit im Hamburger Polizeikommissariat Königstraße, denn das im Volkspark gefundene Mordopfer ist wahrlich kein Unbekannter. In einem Bassin im Dahliengarten fand man die Leiche von Falk Sieverstedt, dem Sohn von Konsul Sieverstedt. Brisanz erhält der Fall nicht nur durch das ausschweifende Privatleben des Sohnemanns, welches regelmäßig in der Boulevardpresse höchste Beachtung findet, sondern durch die Tatsache, dass Hauptkommissar Albrecht mit der Familie sehr gut bekannt ist. Zu gut ...
"Öffne deine Seele" ist kein Kriminalroman von der Stange. Stephan M. Rother stellt schon in den ersten Kapiteln klar, dass er nicht nur ein Geschichtenerzähler, sondern auch und vielmehr ein sehr guter Beobachter und Menschenkenner ist. Hier wird keine platte Story abgespult, wie es leider immer mehr überhand nimmt, sondern hier agieren Menschen mit ausgeprägten Charakterprofilen. Der Autor nimmt sich hierfür Zeit und gönnt sich und den Lesern den Luxus einer ungewohnten Tiefe.
Seine Protagonisten beschreibt er ebenso kontrastreich wie eindringlich bis ins Detail. Selbst einzelne, noch so flüchtig erscheinende Sinneseindrücke zerlegt er in ihre Bestandteile und sei es nur "mehr ein Gefühl als ein Duft im eigentlichen Sinne". Faszinierend ist seine Person des Kriminalhauptkommissars Jörg Albrecht, der, in seiner Eigenschaft als vom Leben Gezeichneter, spannender gar nicht sein kann. Auch ihm werden feinste Beobachtungen zugedacht, wenn er beispielsweise in der Nähe des Einsatzortes, noch vor der Sichtung des eigentlichen Tatortes und der Leiche, mit einer feinsinnigen Analyse beginnt. Was kann er bereits hier herausfinden, bevor ihm die Bilder der Örtlichkeiten und dem Opfer die Sinne manipulieren?
Auch in Verhandlungen, Besprechungen und Begegnungen mit Kollegen, Freunden und Bekannten spielt sich weitaus mehr hinter den Kulissen und zwischen den Zeilen ab. Höchst interessant ist auch der permanente Wechsel der Erzählperspektive von einem imaginären Erzähler und der Ich-Form aus der Persepktive von Albrechts Mitarbeiterin Hannah, Kriminalkommissarin Friedrichs, die ebenfalls eine sehr lebendige und kontrastreiche Persönlichkeit ist und bis zum überraschenden Ende auch bleibt. "Marius" hat zudem einen Oscar für die beste Nebenrolle verdient und sorgt am Ende für eine originelle Schlusspointe. Kunstvoll eingewebte Rückblenden sowie vereinzelte Vorausdeutungen reichern die sich immer brisanter und wechselhafter entwickelnde Story an und heben sie aus den Angeln des Gewöhnlichen ...
... sodass uns gar nichts anders übrigbleibt, als "Öffne deine Seele" auf Platz eins der April-Ausgabe unserer Buch-Charts TOP27 zu stellen, womit der Titel damit bereits jetzt einen festen Platz in der Auswahl unserer Bücher des Jahres 2013 eingenommen hat.
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