Nach Onkalo
von Kerstin Preiwuß
240 Seiten © Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH www.berlinverlag.de ISBN 978-3-8270-1314-9
Matuschek ist allein. Die ungewohnte Stille macht ihm zu schaffen. "Es gibt keine Geräusche mehr außer seinen." Eigentlich hätte sie längst mit dem Besenstiel an die Decke klopfen müssen. Verschlafen hat er deshalb, und das Frühstück ist auch noch nicht fertig. Die Heizung ist kalt und ein Anflug von Panik macht sich breit.
Die gewohnte Ordnung der Dinge ist erheblich gestört. Vierzig Jahre alt ist er und wohnt immer noch bei seiner Mutter. Seine Sachen für die Arbeit sind nicht gepackt und die Tauben auch noch nicht gefüttert. Stattdessen liegt sie im Bett, "macht aber immer noch keine Anstalten aufzustehen...".
Matuschek versteht das nicht. Deshalb geht er rüber zum Russen, obwohl er nicht weiß, was er ihm sagen soll. Igor versteht ihn trotzdem und kommt mit in sein Haus. Matuscheks Mutter ist tot. Einfach so gestorben. Ohne Warnung und Vorzeichen.
Kerstin Preiwuß schildert mit einfachen Worten ein ebenso einfaches Leben, erzielt damit aber eine große Wirkung und Nachhaltigkeit. "Nach Onkalo" ist wie ein Film mit langen Einstellungen und kommt ohne jede Spezialeffekte aus. Die braucht es auch nicht, denn mit ihren simplen Sprachkonstruktionen weiß sie zu berühren und das Leben an wesentlichen Punkten zu treffen.
Matuschek ist kein großer, starker Held. Er sehnt sich wie jeder Mensch nach Glück, doch in wesentlich kleinerem Rahmen. Bescheidenheit ist für ihn eine ganz normale Sache. Zum Leben braucht es nicht viel. Mit Irina, der Cousine von Igors Frau, viel Sonne und den frisch aufgebackenen Brötchen vom Vortag scheint sein Glück ganz aktuell besiegelt zu sein.
Die Autorin zelebriert kein großes Theater. Im kleinen Rahmen sieht sie keinen Platz für verschachtelte Weisheiten und komplizierte, existenzielle Suchspiele. Wenn Matuschek einmal tot ist, will er "ins Wasser zu den Fischen", nicht auf den Friedhof. "Teuer ist das und für nichts."
"Die ersten Wochen nach Mutter" gestalten sich schwierig. Unlösbar scheint das zunächst alles zu sein. Doch manchmal ist die Lösung einfacher als man denkt. Igor meint, dass man Dinge aussprechen muss, "damit sie vor einem stehen und man ihnen in die Augen sehen kann". Ob das vielleicht ein Weg ist?
So ein Buch ist ein Glücksfall. Die Geschichte von Matuschek und einer handverlesenen Auswahl von Nebenfiguren, wie er selbst eine ist, erzählt vom Leben am Rand der Welt. Man müsste einmal den Inhalt von Bücherregalen prüfen. Vielleicht sollten die ganzen halben Sachen raus und Perlen wie "Nach Onkalo" hinein.
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