Literatur

Man muss das Kind im Dorf lassen
Meine furchtbar schöne Kindheit auf dem Land

von Carsten Sebastian Henn


256 Seiten
4. Auflage 2014
© Piper Verlag GmbH, München 2014
www.piper.de
ISBN 978-3-492-05635-9



Einer ist immer schuld. Und wenn keiner greifbar ist, erfindet man halt einen. Für Monika Gruber war aber eine derartige Suche überflüssig, denn die Person, welche die "Hauptschuld" an der vorliegenden Veröffentlichung trägt, war rasch gefunden. Ein Buch wollte sie ja eigentlich nie schreiben, aber der Leiter der Schulbibliothek im Gymnasium zu Erding trat mit seiner lustigen Idee, zum 75-jährigen Schuljubiläum eine Festschrift mit Beiträgen ehemaliger Schüler herauszubringen, eine Lawine los.

Kurz sollten sie sein, doch wer Monika Gruber kennt weiß, dass sie keine kurzen Beiträge verfassen kann. Zunächst hatte sie zwar nicht die geringste Lust, doch begann sie über den Text für die Festschrift hinaus, Erinnerungen an ihre Kindheit zu notieren und so fügte sich eines zum anderen. Ein Buch entstand, und aus meiner Sicht muss man dem ehrenwerten Bibliothekar herzlich dankbar sein!

Der Untertitel könnte leicht in die Irre führen, denn hinter der Formulierung "furchtbar schöne Kindheit" könnten sich ironische Seitenhiebe verstecken, was sich jedoch bei genauem Studium des Buches nicht bewahrheitet. Das Gegenteil ist der Fall, denn Monika Gruber schreibt mit allem Respekt, vor allem ihren Eltern gegenüber, und beschreibt mit großer Einfühlsamkeit und Zärtlichkeit jene Tage, die sie geprägt haben, jene Zeit, die vorbei ist, die sie aber niemals vergessen wird.

Sie gewährt uns Einblicke, die gleichermaßen faszinieren und belustigen. Beispielsweise wenn sie von Kirchenbesuchen berichtet. In Reichenkirchen gäbe es immer noch die "akribische Anordnung der Gläubigen". Frauen sitzen links und Männer sitzen rechts. Eine plausible Begründung dafür liefert sie gleich mit. Ehen auf dem Land würden so gut wie nie geschieden werden, weshalb man wenigstens in der Kirche etwas Abstand genießen möchte.

Sehr zu unserem Erstaunen erfahren wir, dass Monika Gruber früher ganz anders ausgesehen hat. Sie selbst bezeichnet sich auf dem Abiturfoto als "Erdings erste Strickkönigin im Bereich Kratzpullover aus Mohair und Angora". Ebenso selbstkritisch sieht sie sich in jüngeren Tagen, als das erste Brüderchen auf die Welt kam, und ihre Position auf dem "Einzelkindthron" ins Wanken kam.

Etwas Sprachkunde gibt es auch, indem wir lernen, dass Ketchup "im chauvinistischen Bayern" männlich sei und somit mit dem entsprechenden Artikel zu versehen ist. Bayerische Vokabeln gibt's hier und dort ebenfalls: "Do daad a mia fei aa stinga!" Und man staunt nicht schlecht, dass hier eine echte Verwandtschaft zum Chinesischen besteht. Zumindest "wenn man schnell spricht".

Herrlich sind diese Anekdoten um die Familie, Dorfbewohner, Lehrer und das weitere Umfeld, auch wenn im arbeitsreichen Landleben nicht immer "sonnige" Tage vorherrschten. Was bleibt, sind jene Erinnerungen an die Heimat, welche somit irgendwie am Leben bleiben. Monika Gruber verbindet Heimat auch und besonders mit Gerüchen. Das gewendete Heu auf der Wiese, die Maisfelder, der Hausflur oder ganz besonders die frisch gewaschene Wäsche auf der Leine im Freien, jener Geruch, der "mit nichts auf der Welt zu vergleichen ist".

Als Stadtkind könnte man fast etwas neidisch werden auf solche wohlbehütete Kindertage. Obwohl es die sprichwörtliche "gute alte Zeit" nie und zu keiner Zeit gegeben hat, beschreibt sie immerhin doch ein Stück heile Welt. Ihre ganz persönliche. Es war ihr Fundament, auf dem sie bauen konnte.

Vielleicht war es in jenen Kindertagen sogar eines der letzten Stückchen heile Welt, die es überhaupt noch gab. Zumindest war es eine Zeit, die es in vielerlei Hinsicht, obwohl sie noch gar nicht so lange zurückliegt, nicht mehr gibt. Man spürt es, auch zwischen den Zeilen dieses Buches, wie sie einem davonrast. Den Leser mag etwas Wehmut befallen, doch zum Glück gibt es ja die Macht der Erinnerungen und Bücher wie dieses hier.

 

Thomas Lawall - Juli 2014

 

 

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