Machtübernahme Was passiert, wenn Rechtsextremisten regieren Eine Anleitung zum Widerstand
von Arne Semsrott
240 Seiten © 2024 Droemer Verlag www.droemer-knaur.de ISBN 978-3-426-65984-7
Hetzkampagnen von Rechtsaußen sind wahrlich nichts Neues. So hat die Publizistin Mely Kiyak seit 2006 keinen einzigen Artikel, den sie für Die Zeit verfasst hatte, veröffentlicht, der KEINE Hassbriefe oder entsprechende Mails nach sich gezogen hat. Das Ausmaß des rassistischen Materials reichte gar für eine Deutschlandtour mit Kolleginnen und Kollegen in Sachen "Hate Poetry".
Nicht erst seit heute verfügt die AFD über eigene Kanäle in sozialen Medien wie YouTube oder TikTok, auf welchen ihre Anhängerinnen und Anhänger systematisch "angestachelt und radikalisiert" werden. Längst sind sie bereits Spezialisten auf diesem Gebiet, während die etablierten Parteien noch nach den für sie geeigneten Formaten suchen.
Langsam aber stetig wird das bestehende System unterwandert, und immer größer werdende Veränderungen und Bedrohungen zeichnen sich drohend am Horizont ab. Immer wahrscheinlicher deuten sich Möglichkeiten einer Koalitionsregierung für die AFD, zumindest auf Landesebene, an. Das wäre eine Gelegenheit,
"neben der schrittweisen Radikalisierung nach Möglichkeiten zu suchen, revolutionäre Momente des Ausnahmezustands herzustellen".
Arne Semsrott nennt diese Strategie "eine Strategie des Biegens und Brechens. Erst Rechtsbeugung, dann Rechtsbruch." Es beginnt mit der permanenten Störung der Abläufe im Parlament. Wachsende Stimmenanteile ermöglichen den Eintritt in Regierungsverantwortungen und der Einflussnahme auf Gesetzesänderungen. Nicht auszudenken wäre dann noch, die Verfassungsgerichte und die Verfassung selbst "zu überwältigen beziehungsweise aufzuhebeln."
Unverständlich nicht nur in diesem Zusammenhang sind Einladungen von AFD-Politikern zu Talkshows, wo sie "Falschaussagen von sich geben, die im Format nicht live korrigiert werden". Der Autor kritisiert die nachträglich online erscheinenden Richtigstellungen, am Beispiel der ARD-Talkshow Maischberger, die nur einen Bruchteil der Menschen erreichen, die am Vorabend live dabei waren.
"Viel sinnvoller als ein nachträglicher Faktencheck wäre es, Lügenschleudern aus der AfD einfach nicht mehr einzuladen."
Und sollten "die Medien es nicht von alleine lernen", appelliert er an die eingeladenen Gäste der jeweiligen Sendung, ihre Teilnahme "geschlossen und öffentlichkeitswirksam abzusagen".
"Machtübernahme" bietet einen Überblick über den Stand der Dinge und einen Ausblick, wie sich das Leben gestalten würde, wenn die AFD mehr und mehr politische Ämter übernehmen würde.
Die ausführlichen Was-wäre-wenn-Szenarien beinhalten auch ebensolche, die den dann (immer noch) notwendigen Widerstand skizzieren. Doch zunächst gäbe es noch genug Luft nach oben, den aktuellen Widerstand auszubauen und zu erweitern. Jenen gilt es, sowohl in der Zivilgesellschaft als auch und besonders von der politischen Seite aus, nachhaltig umzusetzen.
Parteien und Politik handeln hier wenig oder gar nicht, insbesondere was das Demokratiefördergesetz, welches seit Jahren verhandelt wird, betrifft. Demokratieinitiativen müssten massiv finanziell unterstützt werden, denn ohne Geld geht auch auf Dauer wenig, jedenfalls nicht in dem Maße, wie es gezielte und langfristig orientierte Fördermittel ermöglichen würden.
Einen Beitrag liefert übrigens dieses Buch, weil ein Euro pro verkauftem Buch an Demokratieförderinitiativen überwiesen wird. Schon allein aus diesem Grund muss man dieser Veröffentlichung eine möglichst große Verbreitung wünschen. Es ist höchste Zeit.
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