Literatur

Liebe machen


von Moses Wolff


286 Seiten
© Piper Verlag GmbH, München 2020
www.piper.de
ISBN 978-3-492-30749-9



Die Tapete ist krass. Das Buchcover weckt Erinnerungen der unangenehmen Art. Das Wohnzimmer der Eltern, Anfang der 70er, wurde dergestalt auf das Furchtbarste entstellt.

Die so wiedererweckte ambivalente Gefühlswelt erfährt leider bereits in den ersten Zeilen eine Fortsetzung. Die Zusammenfassung auf der Rückseite des Buches hätte eigentlich schon Warnung genug sein müssen. Im Prinzip verrät der Text die gesamte Story des Buches. Viel kommt da nicht mehr, bis auf den "Knalleffekt" am Ende, nach welchem man sich schon nach wenigen Seiten sehnt.

Moses Wolff geht es in seiner Geschichte wohl in der Hauptsache um jenen Moment, den James Blunt in "You're beautiful" so herzerweichend zum Vortrage brachte: Für einen Moment treffen sich die Blicke eines Mannes und einer Frau, die mit einem anderen Kerl unterwegs ist. Keine Chance, sie jemals wiederzusehen, aber man teilt einen Moment, der für eine Ewigkeit reichen wird.

Genau dies ist auch das zentrale Thema in "Liebe machen". Man begegnet sich auf dem legendären "Love-and-Peace-Festival" am 5.9.1970 auf Fehmarn. Für Dagmar und Götz gibt es, wegen der aktuellen Umstände, keine Möglichkeit, sich näher kennenzulernen. Deshalb bleibt es bei einem kurzen Augenkontakt, und spätestens jetzt kommt die Seifenoper richtig in Fahrt, denn die beiden Dummköpfe nehmen "dieses kleine Aufflackern von Verheißung nicht bewusst wahr." Kein Wunder eigentlich, denn gerade spielt Jimi Hendrix ...

In einem Zug nach München passiert Ähnliches, bis es auf dem Münchner Oktoberfest das erste bewusste Treffen gibt. Für Dagmar ist Götz jetzt eine "Märchengestalt, wie ein Prinz auf einem weißen Pferd". Götz nimmt sie als "feenhaft weibliche Erscheinung" wahr, und dem Rezensent droht gleich der Kragen zu platzen.

Was ist das? Eine Satire? Musik, die einem "ausgezeichnet" gefällt, "hervorragend" schmeckendes Essen und Wein, und nach dem "leidenschaftlichen Liebesspiel auf der Matratze" fühlt man sich am nächsten Morgen dann sogar "mehr als hervorragend". Neben Kitsch und amtsdeutscher Verschraubungslehre fehlen Sprachbilder völlig. Bis auf eine, wenn auch entgleiste Ausnahme. Während einer spontanen Aktion mit Freundin Daisy läuft Dagmar ein "wohliger Schauer des Mutes über den Rücken". Wie bittä?

Das herzige Drama wird gestreckt durch eine Handvoll kultureller und politischer Ereignisse, die in kurzen Kapiteln schemenhaft skizziert werden. Dazu gehören beispielsweise Mauerfall, Michael Jackson und Zauberwürfel.
Ruckzuck vergeht ein halbes Jahrhundert, bis sich an einem Donnerstag, den es noch gar nicht gibt (o.k., inzwischen doch), gar seltsame Dinge ereignen. Wer hat diesen Text geschrieben? Der klingt nämlich plötzlich "hervorragend".

Ja gut, also, bei James Blunt geht es bekanntlich nicht gut aus. Wie sich das in "Liebe machen" verhält, wird natürlich nicht verraten. Neben all der farblosen und pottlangweiligen Schreiberei des Autors entsteht trotz allem der Eindruck, dass ihm die Story eine Herzensangelegenheit ist. Die mitunter schmalzige Rührseligkeit ist jedoch nicht jedermanns Sache. Heftchenleser und Jäger des verlorenen Schmachtes kommen aber voll auf ihre Kosten.

Mal etwas anderes als Fazit: Würde man 3/4 des Textes streichen und das verbleibende Viertel umschreiben, könnte man ein verdammt gutes Drehbuch daraus basteln.

 

Thomas Lawall - September 2020

 

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