Lichtbruch Die dunkle Seite des Lebens
Diana Jahr & Stephanie Simon (Hrsg.)
164 Seiten © Edition Thaleia, St. Ingbert 2012 www.edition-thaleia.de ISBN 978-3-943382-00-6
Das, was ich jetzt schreibe, ist eine Eintagsfliege. Warum, wird sich noch herausstellen. Zuerst einmal die Fakten: Mit "Lichtbruch" veröffentlicht die Edition Thaleia die Projektarbeit eines Internet-Literatur-Forums, welches leider nicht näher benannt wird. Zum Thema "Die dunkle Seite des Lebens" konnten über einen Zeitraum von 18 Monaten Gedichte eingereicht werden. Eine Auswahl der besten Beiträge liegt nun vor, und genau da liegt mein "Problem".
Zwölf Autorinnen und Autoren bieten auf 154 Seiten insgesamt 120 Gedichte. Die acht Kapitel "Quelle", "Haltlos", "Wildwasser", "Schotter", "Irrwege", "Verlorene Wege", "Im Spiegel" und "Wegsam" sorgen für eine gewisse "Ordnung", doch letztlich ist die Vielfalt der Gedanken zum Thema einfach unglaublich. Es ist schon schwierig genug, sich auf einen einzigen Lyrik-Autoren einzulassen und allen Gedanken Folge leisten zu können. In "Lichtbruch" gestaltet sich dies ungleich schwieriger, da sich einerseits sowohl Inhalt und Ausdruck auf gleichbleibend hohem Niveau bewegen, die Gedichte aber andererseits von zwölf völlig unterschiedlichen Charakteren erdacht und geschrieben wurden.
Gleichzeitig fasziniert es aber, sich mit den unterschiedlichen Herangehensweisen zum Thema und dem damit verbundenen Gedankenreichtum eingehend zu beschäftigen. Viel zu bieten hat sie, die dunkle Seite des Lebens, doch sollten sich die Leserinnen und Leser darauf vorbereiten, hier keine schöngeistig-verklärte Melancholie vorzufinden, sondern eher die wirklich großen Schattenseiten des Lebens.
So versteht es zum Beispiel Heinz Kurt Rintelen auf sehr bewegende Art und Weise, sich mit dem Unvermeidlichen auseinanderzusetzen. Er nimmt es nicht hin, auch wenn es aussichtslos ist. Ändern kann er nichts, so wie wir alle es nicht können, aber immerhin setzt er der immerwährend am Horizont drohenden Vergänglichkeit etwas entgegen. Seinen verzweifelten Protest formuliert er schonungslos und ungeschminkt (aber nicht ohne Humor) in "Der Knöcherne":
"Ich vereinnahme meine begrenzte Zeit stemme mich gegen den Verwesungstermin ..."
Julia Fürst verzichtet ebenfalls auf alle Ecken und Kanten und sogar generell auf Überschriften. Diese benötigen ihre Gedichte auch nicht, denn ihre Verse sprechen für sich selbst und lassen gleichzeitig sehr viel Freiraum zu einer ganz persönlichen Interpretation:
"Nur Nacht bleibt, siebt sie dunkle Himmel ins Fenster der Umherirrenden. Ruhelos schweigt sich ein Kampf am anderen."
Auch einen der seltenen Lichtblicke wagt sie. Eindringlich und in aller Kürze:
"Manchmal, zahnloser Wanderer, manchmal ist man glücklich, wo man ziellos ist."
Erschütternde Verse lese ich zum Thema Gewalt oder Missbrauch. Es genügen wenige Worte, um Höllentore zu öffnen und Entsetzliches zwischen den Zeilen zu lesen, ja fast zu spüren, wenn Stephanie Simon in "Oft" schreibt:
"... noch heute begraben in deinen Trümmern alles das du mir einst nahmst beschmutzt bis ins Grab"
Nicht weniger dramatisch weiß es Diana Jahr in "es geschieht" und "geschändet" zu formulieren. Man liest sich einen dicken Kloß in den Hals und bedauert es zutiefst, in einer Welt zu leben, in welcher solche Verse möglich sind. Spätestens hier wird aus Dichtung bittere Wahrheit. Aus der ganzen Vielzahl von herausgeschriebenen Zitaten will ich nur noch eines herausgreifen, mit der gleichzeitigen Bitte um Vergebung, nicht alle Autorinnen und Autoren erwähnen zu können. Denn alle hätten es verdient!
Welche Mutter hier gemeint ist, darüber kann man nur spekulieren, aber so genau will ich es auch gar nicht wissen. Eines spürt man aber ganz gewiss: Hier fand ein Krieg statt! Bianka-Helena Wolf nimmt in "Ich erinnere mich nicht" kein Blatt vor den Mund und rechnet gnadenlos ab:
"...was du spürtest war Verachtung ..."
Ich weiß nicht, mit welchen Adjektiven ich dieses Buch beschreiben soll. Ein gar nicht mal so unbekannter Autor rät sogar regelrecht davon ab. Jedenfalls vor dem Missbrauch zu vieler. Das will ich in diesem Fazit einmal versuchen. Ich wusste bereits, als ich den Titel im dem mir vorgestellen aktuellen Verlagsprogramm gelesen hatte, dass ich an diesem Buch wohl keinesfalls vorbeikommen werde. Der Titel wirkte auf den ersten Eindruck diffus und eher ohne greifbare Erwartungen, doch jemand, der den "dunklen Seiten" viel Aufmerksamkeit schenkt, möchte wissen, was es mit diesem "Lichtbruch" auf sich hat. Nicht damit gerechnet hatte ich, dass sich die lyrische Komponente einer allgemeinen Dunkelheit in eine real existierende Gegenwart verwandeln würde. Und nein: Ohne Adjektive geht es nicht. Und bei diesem Buch schon gar nicht.
In Sachen Eintragsfliege bin ich noch etwas schuldig. Da ich viele der Zeilen (mindestens) noch einmal und andere immer wieder lesen werde, würde ich eine Rezi, die ich morgen schreiben würde oder nächste Woche vielleicht, völlig anders formulieren. Eigentlich egal wann, denn unvollständig wäre jede Rezension. Dieses Buch ist anders. Man kann es nicht zu Ende lesen. Klappt man es zu und stellt es ins Regal, wirkt und arbeitet es weiter ...
Vieles ist konkret, manches nur angedeutet, und anderes bis zur Unkenntlickeit abstrahiert. Ich wünsche jeder potentiellen Leserin und jedem potentiellen Leser keine gute Unterhaltung mit "Lichtbruch". Hier geht es um etwas anderes. Es ist Verzweiflung, Mut, manchmal beides und noch viel mehr. Schon deshalb ist es ein wichtiges Buch!
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