Literatur

Letzter Kirtag

von Herbert Dutzler


264 Seiten
© 2011 Haymon Taschenbuch, Innsbruck-Wien
www.haymonverlag.at
ISBN 978-3-85218-870-6



Frau Dr. Kohlross zieht die falschen Schlüsse. Wer hätte das gedacht. Die fesche Ermittlerin vom Bezirkskommando aus Liezen bringt Gasperlmeier, Polizist in Altaussee, in jeder Beziehung durcheinander.
Nun scheint sie ihn ertappt zu haben, doch weit gefehlt. Seine mehr als überdeutlich erkennbare Erregung deutet sie tatsächlich falsch. Sie vermutet einen Schock bei ihrem Kollegen, denn es gehört ja nicht gerade zum polizeilichen Alltag, in Altaussee eine Leiche zu finden und eine derart zugerichtete schon gar nicht.

Für sie sei es auch nicht immer leicht, versucht sie ihm tröstende Unterstützung zu leisten, während Gasperlmeier nichts anderes einfällt, als den V-Ausschnitt ihrer Kostümjacke, der eine winzige Andeutung der Falte preisgibt, die ihre Brüste voneinander trennt, einem genaueren Studium zu unterziehen. Selbstverständlich nicht aus profaner Lüsternheit oder purer Freude an den natürlichen Gegebenheiten des anderen Geschlechts, sondern (auch) aus Angst.

Gasperlmeier hat panische Angst vor ihren Augen. Ein ausgiebiger Blickkontakt würde ihn sicher verraten. Dieser Frau kann man nichts vormachen. Sie würde in seinen Augen lesen können wir auf einem Plakat. Doch vorerst bittet sie um mehr Aufmerksamkeit, da ihrem Adlerblick natürlich nicht entgeht, in welche Regionen er sich zu verlaufen droht. Mit eindringlichen Worten holt sie ihn unmittelbar aus seiner Deckung heraus: "Hier heroben spielt die Musik!"

Zunächst erzählt er wieder die mühsam zusammengelogene Version vom Leichenfund auf dem Pissoir beim Festzelt. Es ist Kirtag in Altaussee. Da er früh am Morgen Streifendienst hatte, wollte er wie immer Zelt und Gelände genaustens prüfen, bevor der Publikumsverkehr wieder beginnt. Da er alsbald ein natürliches Bedürfnis verspürte, machte er sich auf den Weg zum Pissoir neben dem Festzelt. Doch statt der erhofften Erleichterung fand er dort die Leiche von dem Herrn Dr. Naglreiter. Angerührt hat er aber nichts, wie er sagt.

Leider stimmt diese Version ganz und gar nicht, denn Gasperlmeier machte den Fehler seines Lebens. Seit zwanzig Jahren ist er Polizist in Altaussee, doch ein derart kapitales Fehlverhalten konnte er sich bislang in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen. Tatsächlich war er es gewesen, der die Leiche fand. Sie lag aber nicht im Pissoir, sondern saß noch auf einer Bank an einem Biertisch! Er fürchtete einen Skandal und aus lauter Angst, der langersehnte Kirtag könnte damit zu Ende sein, wollte er die Leiche an einen anderen Ort schaffen! Nachdem er die Leiche auf den Boden gelegt hatte, entsorgte er die blutverschmierte Bank in einem Gebüsch und zerrte die Leiche aus dem Zelt. Ein nahender Biertransporter setzte seinem Vorhaben aber ein Ende und so musste er notgedrungen sein Vorhaben im angrenzenden Pissoir beenden.

Das riecht natürlich nach einer Menge Ärger. Und den wird es auch geben. Doch nicht so, wie man hätte meinen können ...! Zusätzlichen Sprengstoff bilden weitere Morde, die nicht nur was die Umstände betreffen, sondern auch die betroffenen Personen so nicht erwartet wurden. Und das schon fast tragisch-komische Ende schon gar nicht ...

Ich möchte freundlich unterstellen, dass Herbert Dutzler mit seinem Gasperlmeier einen ganz großen Wurf gelandet hat. Seine Figur des kauzigen Ermittlers aus Altaussee fasziniert auf jeder Seite mit einer Authentizität, die nicht jeder fiktive Ermittler mit ihm teilt. Gasperlmeier überzeugt als liebenswerter Tolpatsch mit kindlichem Gemüt auf ganzer Linie. Sein ebenso bodenständiges wie menschliches und nicht immer fehlerfreies Verhalten stilisiert ihn einerseits zu einem Katastrophenmagnet, andererseits zu einem außerordentlich sympathischen Zeitgenossen. Die Verwirrungen, die er immer wieder auslöst, sind haarsträubend, aber zutiefst menschlich. Ermittlungstechnisch ist er sehr direkt und geht keine Umwege, auch wenn er sich oft nicht unbedingt auf Dinge konzentriert, die im Moment vielleicht wichtiger wären. Insbesondere betrifft dies seine punktgenauen Beobachtungen, was die Reize des anderen Geschlechts betrifft. Diese brillieren ebenfalls auf sehr direkte und unmittelbare Weise, und sorgen mehr als nur einmal für fast slapstickartige Verwirrungen.

"Letzter Kirtag" ist ein weiterer Qualitätskrimi aus Österreich und ich möchte meiner inständigen Hoffnung Ausdruck verleihen, dass Herbert Dutzler seinem Gasperlmeier noch eine ganze Reihe von weiteren Aufgaben und Fällen zugedacht hat. Zudem würde ich mich sehr darüber freuen, wenn in einem Nachfolgeband vielleicht die beiden angefangenen Witze von Gerichtsmediziner Kapaun zu Ende erzählt werden würden ...

Habe die Ehre.

 

Thomas Lawall - Juni 2011

 

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