Literatur

Lehrerkind
Lebenslänglich Pausenhof


von Bastian Bielendorfer


304 Seiten
6. Auflage Januar 2012
© Piper Verlag GmbH, München 2011
www.piper.de
ISBN 978-3-492-27296-4



Herr Bielendorfer hat ein prima Gedächtnis. Er kann sich sogar noch an seine Einschulung erinnern. Auch der Tag vor jener einschneidenden Erfahrung scheint ihm noch in bester Erinnerung zu sein. Da wurde nämlich die Schultüte zusammengebastelt. Die "Bastelkatastrophe" aus Zeitungspapier und Filz soll wie eine "Mischung aus einer halb abgebrannten Sankt-Martin-Laterne und einem Mitnehmkarton für asiatisches Schnellessen" ausgesehen haben. Dieser merkwürdige Vergleich ist nicht der erste und bei weitem auch nicht der letzte, der uns in diesem Buch langweilt ... doch wir waren bei der Einschulung. Natürlich war sich unser Held der Tragweite dieses Datums schon damals voll bewusst. Schon klar. Dann werden wir mit der Erkenntnis überrascht, dass sich in der "pimmelförmigen"(?) Schultüte allerlei Sinn- und Nutzloses befand. Wahnsinn.

Vor der Schilderung des ersten Schultages erfahren wir noch Genaueres über den Bau der Schultüte. Bastians Bemühungen bezüglich des ersten Entwurfs überzeugten die Eltern nicht. Zwei Tage mühte er sich ab, doch das Ergebnis sah wie "die Nachgeburt von Bernd dem Brot" aus. Und der Autor weiß noch einen draufzusetzen, indem er den Berg aus Pappe mit den beiden von Klebstoff verschmierten Spitzen, mit einem "Zwergelefanten mit Erektion" vergleicht ...

Seinen Schulranzen bekam Bastian von seinem Cousin, der mittlerweile das Gymnasium besucht (natürlich). Der "spaßbefreite" Junge ist eine "Wohlstandssacklaus"(?), der womöglich schon bei seiner Geburt einen "Mitgliedsausweis für die junge Union" beantragt hat. Soll sagen: der Schulranzen war grau. Aha.
Im weiteren Verlauf dieses überaus spannenden Tages fällt die selbstgebastelte Schultüte auseinander und - oh Überraschung - es fallen tatsächlich eine Menge Süßigkeiten heraus. Wie es sich für Familien aus indirektuellen Kreisen geziemt, ist selbstverständlich eine Ausgabe von Kafkas "Verwandlung" enthalten. Das minderbemittelte Fußvolk staunt selbstredend nicht schlecht. Opa rettete die peinliche Situation, indem er in diesem Stilleben einen Gameboy "fand". Und das war er dann auch schon, der erste Schultag ...!

Noch genauer erinnert sich der Autor an seinen siebten Geburtstag. Kann ja schließlich jeder. Die Kinder der Nachbarschaft nennt er "halbfertige Heimsuchungen". Kein Wunder, dass sie ihn beim Versteckspiel gerne für längere Zeit in einem Schuppen einsperrten. Weil er als Lehrerkind, dessen Eltern im Verlauf seines schulischen Werdegangs auch noch in seinen jeweiligen Schulen unterrichten, der Allgemeinheit als Sonderling verschrien war, mieden seine Klassenkameraden einen Besuch. Na kein Wunder, wenn man von derart anderer Gnaden ist. Auch die Kinder in der Nachbarschaft bekommen wiederholt ihr Fett weg, indem sie z.B. als "Schnullerpsychopathen" bezeichnet werden. Jeder der anwesenden Gäste wird mit mindestens zwei bis drei fundamentalen Verbalohrfeigen bedacht und wehe man ist auch noch Fußballfan. Jedenfalls wäre Bastian der leidigen Geburtstagsfeier am liebsten mit einer Raumkapsel ins Weltall entkommen oder hätte sich "nackt und brennend in eine Kreissäge" gestürzt! Typische Gedanken eines Siebenjährigen. Ehrlich: Ich habe noch nie so einen Schmarrn gelesen ...!

Alles in allem ist das Buch ein bemühter, aber misslungener Versuch. Munter (ver)plaudert sich Bastian Bielendorfer durch sein Leben als "Lehrerkind". Sicherlich glaubt er nicht im Ernst, dass der Leser ihm alle geschilderten Episoden abkaufen wird, aber die Kunst des Versuchs einer ironischen Selbstdarstellung liegt - ähnlich wie im Kabarett, wo es jedoch meist etwas gehaltvoller zugeht - in der Übertreibung. Und diese sorgt immerhin, wenn auch sehr gelegentlich, für einen nicht unbeträchtlichen Unterhaltungswert, welcher aber immer schön brav an der Oberfläche bleibt und selten an Tiefgang gewinnt. Das lag wohl auch nicht in der Absicht des Autors, denn man möchte ja ein größeres Publikum erreichen.

Viel zu oft kommt "Lehrerkind" bemüht witzig daher, wobei derlei mehr oder weniger verschraubte Formulierungstechniken uns von unseren eigenen Lehrkörpern noch in bester Erinnerung geblieben sind. Die können halt nicht anders. Und wen wundert es, dass es bei deren Kindern nicht anders ist? Richtig. Niemand! Nichts ist schlimmer, als wenn derlei Kopfüberlastete versuchen, witzig zu sein. Der Schuss geht meistens nach hinten los. Wahre Weltmeister sind sie aber im Fach Ironie. Selbstironie kommt dagegen wieder eher holprig daher und (ebenso) wenig überzeugend.

Regelrecht zusammengeschraubte Gags wie "Lichtverhältnisse wie in einem Maulwurfspo" (S. 119), einem russischen Moderator, der wie das Ergebnis einer Parung zwischen "Ilja Richter und einem Opossum" aussieht (S. 158), der Wurzelbehandlung mit einer Kettensäge (S. 66) oder einem betrunkenen Schimpansen, der "Angela Merkel als Pin-up-Girl" malt (S. 71) zünden einfach nicht. Selbst eine auf den Rasen vor dem weißen Haus scheißende Paris Hilton (S.155) vermag nicht den geringsten Lacher zu erzeugen. Ganz im Gegenteil, denn hier schießt der Autor vielsagende Eigentore und wenn es dann weiter und viel zu oft in Richtiung Fäkalsprache geht, dann wird es richtig peinlich!

Man könnte sich hier und da etwas gewählter ausdrücken, und die eine oder andere Passage kürzen oder gleich ganz streichen, aber wer es von Haus aus gewohnt ist, drei Tagesordnungspunkte, die man in schlappen fünf Minuten abhandeln könnte, in tagelange Diskussionen auszudehnen, weiß ein Taschenbuch selbstverständlich ohne jede Mühe mit über 300 Seiten zu füllen. Es ist eine Qual ...

Na ja gut, eine (neu geschaffene) Marktlücke wurde geschlossen (hoffentlich für immer). Und was kommt jetzt? "Psychologenkind - Freud ohne Ende", "Esoterikerkind - Lebenslänglich positive Energie" oder noch schlimmer: "Fußballerkind - Torschusspanik for ever"?

 

Thomas Lawall - März 2012

 

 

 

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