Literatur

Kommt Zeit, kommt Mord

von Peter Wehle


312 Seiten
© Haymon Taschenbuch, Innsbruck-Wien 2014
www.haymonverlag.at
ISBN 978-3-85218-965-9



Hofrat Ludwig Halb macht "Ernst" und zwar insofern, als er seinem Vorgesetzten, Hofrat Doktor Ernst Straka, ein schriftliches Gesuch überreicht. Der Leiter des "Büro 3.2. - Allgemeine Kriminalität" im österreichischen Bundeskriminalamt denkt jedoch nicht daran, das Gesuch "mit der Bitte um Kenntnisnahme des Dienstaustritts mit Ende des dritten Quartals, per 30. September" so ohne weiteres anzuerkennen. Schließlich habe Halb erst 33 Dienstjahre abgeleistet und mit Anfang fünfzig sei es etwas verfrüht, seine wohlverdiente Pension aufs Spiel zu setzten.

Straka beginnt umgehend, eine Analyse der Situation vorzunehmen und tippt zunächst auf eine Midlifecrisis. Die innere "Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss-Heldenuhr" würde ticken und Halb würde sicherlich demnächst "auf diversen Pferderücken sitzend quer durch Kanada Lachse fischen und Grizzlybären verstehen lernen". Leider kann der Fettnapf, in den sein Chef mit schöner Regelmäßigkeit tritt, größer nicht sein, denn heldenhaftes Verhalten ist Halb, seit er vor fast einem Jahr bei einem Einsatz schwer verwundet wurde, fremd.

Vier Tage ist er erst wieder im Dienst, nachdem er neun Monate im Krankenhaus verbracht hatte. Drei Kugeln trafen ihn in die Wirbelsäule, und es stand auf der Kippe, ob er vom Hals abwärts gelähmt bleiben würde. Kaum übernahm er die Leitung des "Referats 3.2.1. - Gewaltkriminalität", war er "nur knapp von der Sargkante gerutscht". Die Folgen jener Vorfälle sind aber keineswegs Gründe für die Entscheidung, den Dienst zu quittieren. Halb hat geerbt. Ein Zinshaus mit elf Wohnungen. Das scheint finanzielle Unabhängigkeit zu garantieren ...

Doch es gibt einen neuen Fall und gleichzeitig erhält Halb seine alte Ermittlergruppe wieder. Patrick Dobler sitzt seit 5 Jahren im Gefängnis. Wegen eines Dreifachmordes wurde er zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Man legte ihm zur Last, während eines Einbruchs überrascht worden zu sein und dann ein Ehepaar und dessen dreijähriges Kind erschossen zu haben. Jetzt taucht ein Video auf, in welchem ein gewisser Gregor Auen den Mord nun seinerseits zugibt und Dobler somit entlastet. Der Wahrheitsgehalt der Aufnahme kann zunächst nicht bezweifelt werden, da Auen Details  schildert, die nur dem Täter bekannt sein können. Ein Skandal bahnt sich an ...

Nun gibt es ja Kriminalromane wie Sand am Meer, und am langweiligsten sind jene, die eine schnörkellose A bis Z-Geschichte erzählen. Die Protagonisten sind leblose Statisten, die sich der Handlung unterzuordnen haben. Ganz anders in "Kommt Zeit, kommt Mord". Peter Wehle hat nicht nur eine spannende Geschichte zu bieten, sondern erzählt auch die Geschichte seiner Haupt- und Nebenfiguren! Hierbei bedient er sich an zahllosen ebenso unkonventionellen wie schrägen Formulierungen, die ganz erstaunliche Bilder erzeugen können.

Als Spitzenreiter und Moderator seiner Wort- und Satzkreationen hat der Autor die Figur des Hofrat Ludwig Halb verpflichtet, den er zudem mit so erstaunlichen Fähigkeiten ausstattet wie beispielsweise der Möglichkeit, in verbalen Auseinandersetzungen "seinen aufwallenden Zornausbruch unter einer Löschschicht aus Menschenkenntnis" ersticken zu können. Zudem outet er seinen maßgeblichen Beamten als "agnostischen Zeitweise-Atheisten", als "kontrolliert-überlegenen Zyniker", als "Kaloriensponsor" und als einen Menschen, der "seine Ohren als Regenschirm und sein Gehirn zu einem Ganzkörper-Ölzeug umfunktionieren" kann.

Die Auseinandersetzungen zwischen Ludwig Halb und Ernst Straka, die stets auf einem hohen Niveau ausgetragen werden, sind ein Kapitel für sich. Peter Wehle spendiert dem erstaunten Leser auch ein paar Nachhilfestunden in Sachen "Ritual-Rhetorik" und spätestens, wenn er seinen Lieblings-Hofrat den Hamlet im Rahmen eines "literarischen Anfalls" in einer freien Interpretation zum Vortrage bringen lässt, bleibt kein Auge mehr trocken.

Ein solches Lachen ist mir seit der Lektüre der genialen Kriminalromane Manfred Wieningers nicht mehr untergekommen. Auch ein solches, das einem wahrhaft im Halse stecken bleibt und jedes Vergnügen erstickt, steht dem diametral gegenüber. Schließlich handelt es sich um einen Kriminalroman, in welchem es zwangsweise auch einmal ernst werden muss. Wobei jetzt nicht wieder jener Hofrat einer erneuten Verballhornung ausgeliefert werden soll, sondern eher der Ernst der Sache gemeint ist.

Großen Wert legt der Autor auch auf die Körpersprache seiner Protagonisten, die er bis ins kleinste Detail zu beobachten weiß und nicht zuletzt auf wundersame Weise in Sprache zu verwandeln vermag. Beispielsweise kann eine "Gekränktheit scheinbar an Terrain gewinnen", letztlich aber dann doch "wehmütige Vernunft das Kommando übernehmen". Großartig auch jene Denkfalten, die derart viel Raum beanspruchen, dass für "etwaige beleidigt hochgezogene Augenbrauen kein Platz mehr bleibt"!

"Kommt Zeit, kommt Mord" unterhält auf sehr vielfältige Weise sehr intelligent und bereitet großes Vergnügen all jenen, die ihr Interesse am Genre eher an der Besetzungsliste festmachen, als an einem heruntererzählten Krimistoff Nr. 0815. Dennoch muss noch erwähnt werden, dass es sich bei dieser Geschichte um ein ganz besonderes Verwirrspiel handelt.

 

Thomas Lawall - Mai 2014

 

 

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