Literatur

Kim Schepper und die Kinder von Marubor

von Wolfgang Brunner


350 Seiten
1. Auflage, Juni 2010
www.noel-verlag.net
www.wolfgangbrunner.de
www.kimschepper.de
ISBN 978-3-940209-51-1



Erleichtert fällt Kim ins Bett. Es ist halb vier und ihre Mutter hat von ihrem nächtlichen Ausflug zum Friedhof nichts bemerkt. Doch ihre Gedanken drehen sich weiter wie ein Karussell. Es ist für den Moment unmöglich, die Ereignisse der letzten Stunden auch nur halbwegs verarbeiten zu können. Niemand würde ihr jemals glauben, was sie erlebt hat. War es ein Traum? Sicher nicht, denn Träume fühlen sich anders an. Was sie erlebt hat, war Wirklichkeit, wenn auch eine solche, die sie erst noch begreifen muss. Die Loa, der Zirkus des Todes, das geheimnisvolle Serum, Marubor und Kinder, die "gering leben", gibt es wirklich und ihren geliebten Bruder, den totgeglaubten, hat sie gerade eben noch in ihren Armen gehalten ...

Kim steht fassungslos am Grab ihres Bruders. Gleich werden sie ihn hinablassen und er wird endgültig aus ihrem Leben verschwinden. Mit dreizehn Jahren begreift sie nicht wirklich, was passiert. Sie ist nicht bereit, ihn einfach gehen zu lassen. Sie erinnert sich an die gemeinsame Zeit und all den Spaß, den sie zusammen gehabt haben, und schließlich war er kürzlich erst elf Jahre alt geworden. Noch hat sie auch den Tod des Vaters nicht verkraftet, selbst wenn das schreckliche Ereignis schon fünf Jahre zurückliegt. Sie war erst sechs und stand damals schon einmal an diesem Loch in der Erde ...

Ein Auto hat Tom angefahren. Gestreift von einem Außenspiegel stürzte er von seinem Rad. Leider wurde der Fall durch einen mit allerlei Gartengerät beladenen Anhänger gebremst, der unglücklicherweise am Unfallort abgestellt war. Eines dieser Geräte wurde Tim zum Verhängnis und er starb noch am Unfallort.

Kim hasst Beerdigungen und die damit verbundene Endgültigkeit. Sie möchte ihren Bruder Tom behalten, selbst wenn es nur in Gedanken ist. Die Abschiedsmodalitäten hätten ohne dieses ganze Theater ihrer Meinung nach eine viel größere Wirkung (darüber muss ich einmal nachdenken ...). Die Menschen sollten vielmahr dazu übergehen, ihre Angehörigen einfach nur an einem anderen Ort zu wissen. Für ungewisse Zeit. Aus ihrer Sicht hat sie ihr Vater also nie verlassen und ihr Bruder ebenfalls nicht. Noch ahnt sie nicht, dass sie in gewisser Weise recht behalten wird ...

Julian, ein Klassenkamerad von Tom, reißt sie aus ihren Gedankenbergen ... und fügt gleichzeitig neue hinzu. Zuerst ist sie misstrauisch, da ihr Bruder ihr immer alles und von jedem erzählt hat, nie aber von einem Julian. Julian weiß aber mehr, als sie zunächst zu vermuten wagt. Schließlich lädt er sie zu einem Treffen ein. Um Mitternacht soll sie sich am Grab ihres Bruders einfinden, wo er ihr ein Geheimnis anvertrauen wird, welches sie aber erst glauben wird, wenn sie es mit eigenen Augen gesehen hat.

Kims Neugier ist stärker als ihre Zweifel und schließlich macht sie sich auf den Weg. Die Ereignisse spitzen sich zu, als Julian tatsächlich zum vereinbarten Zeitpunkt erscheint. Doch er ist nicht allein. Seine verstorbene Schwester Vivian gesellt sich zu ihnen, nachdem Julian Kim sanft auf das vorbereitet hat, was nun folgen würde. Doch damit nicht genug, denn gemeinsam mit Vivian würden sie nun Kims Bruder Tom zurückholen! Es wäre aber keine Wiedererweckung zum Leben, da dies in keinem Fall funktionieren würde ...

Die Loa sind die Kinder von Marubor. Geistähnliche Wesen zwischen Leben und Tod. Mittels einer speziellen Zeremonie können sie in einen Zustand versetzt werden, den man "geringes Leben" nennt. Schlaf brauchen diese Wesen nicht mehr und Essen und Trinken sind überflüssig. Erwachsen werden sie niemals werden, denn sie bleiben so, wie sie einst starben. Kinder für alle Zeit!

Zirkel des Todes wurde die Gruppe der fünf Kinder genannt, die sich in ein geheimes Labor locken ließen. An Vivian, Tom, Keylan, Lynn und Jaron wurde ein Serum namens Marubor getestet, welches ewiges Leben bewirken sollte. Das Experiment scheiterte und alle Zeugen mussten beseitigt werden. Die Verantwortlichen inszenierten Unfälle und verschwanden. Sie ahnen allerdings nicht, dass die Kinder nicht wirklich tot sind und dass sie sehr neugierig sind, weshalb sie "sterben" mussten. Gemeinsam machen sich die Kinder auf den Weg zu jener Insel mit dem stillgelegten Leuchtturm, unter welchem sich die verlassene Forschungsstation befindet, die einst ein Bunker in 2. Weltkrieg war ...

Wir haben es hier mit einem der spannendsten Jugendbücher zu tun, die ich jemals gelesen habe. Wolfgang Brunner hat ein kleines Wunder vollbracht, denn all die tollen Geschichten um Verbotenes, Verborgenes und Geheimnisvolles, die ich in jungen Lesejahren verschlungen habe, hat er wieder zum Leben erweckt. Vergleiche sind oft ebenso irrational wie vollkommen überflüssig, doch hier drängt sich ein solcher geradezu auf. Spannung ist ja nicht gleich Spannung, denn oft ist es das gewisse Etwas, das fehlt, und eine Lektüre schnell im Einheitsbrei der platten Phantasterei versinken lässt. Es gab eine Schriftstellerin, die uns mit ihren Geschichten zu fesseln wusste und für uns die Tür zu spannenden Abenteuern öffnete. Enid Blyton setzte Maßstäbe und fesselte uns schon auf der ersten Seite an ihre Geschichten. In einer ihrer Romanserien waren ebenfalls fünf Kinder unterwegs! Wolfgang Brunner setzt aber noch einen drauf, denn es sind ja eigentlich 2 x 5 Kinder, die hier führende Rollen spielen. Und es kommen noch weitere dazu, denn es gab noch andere Experimente ... mit den Schattenkindern, den Kindern der Zeit, der Ewigkeit und der Erde.

Der in Freising geborene Autor, der mit "Cryptanus - Der Geruch des Todes" 2009 seinen ersten Roman herausbrachte, gelingt in "Kim Schepper und die Kinder von Marubor" ein dramatischer Spannungsaufbau mühelos und aus dem Stand, indem er unvermittelt und mitten in der Tragödie zu schreiben beginnt. Ohne lange Vorgeschichte und jede Vorwarnung stehen wir mitten im Geschehen und während Blytons statisch gehaltene Figuren eher der Story untergeordnet wurden, erlaubt Brunner eine etwas genauere Charakterzeichnung und vor allem eine Entwicklung der Figuren parallell zum Spannungsbogen der Geschichte, die nicht überfordert, aber gute Unterhaltung für Kinder und Jugendliche im Alter von 9-99 Jahren garantiert ...

... und die es wahrlich in sich hat!

 

Thomas Lawall - Juli 2010

 

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